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Zehn Jahre Laberland

Der sich den Wolf talkt: Alfred Franz Maria Biolek hat für ein Jahrzehnt „Boulevard Bio“ vom WDR ein schönes Buch bekommen. Eines, das sogar teilweise besser ist als die Realität. Denn nur die schönsten Ausschnitte fanden Aufnahme in die Hommage

von JENNI ZYLKA

Ein Biolek-Buch ohne Rezepte, das ist wie . . . ein Morgen ohne Kater. Oder ein Rotwein ohne Kork. Der Bonvivant der Talkshowgastgeber, um gleich im Bio-Stil zu bleiben, der kleine alte Mann des großen alten Öffentlich-Rechtlichen, säuselt seit 10 Jahren sein „das ist ja interessant!“ zu Themen wie „Allein erziehen – allein erzogen“ oder „Männerträume“. Im August 1991 lud er sich das erste Mal Gäste auf ein altes Ledersofa ein, das später durch Rattanmöbel ersetzt wurde, die „trotz erregender Themen nicht das kleinste Knarren von sich gaben“.

Das erfährt man von Roger Willemsen, selbt talkerfahrener, als einem lieb sein könnte, in dem neu erschienenen Buch „Boulevard Bio. Die ersten zehn Jahre“. So ein Beweihräucherungsbuch könnte ja nun, trotz und wegen AutorInnen wie Willemsen, Benjamin von Stuckrad-Barre, Barbara Rütting, Norbert Blüm und Götz Alsmann, trotz seitenweise Transkriptionen von Talks mitsamt Regieanweisungen („Bio lacht, dreht sich zum Publikum. Zuschauer im Studio lachen leise.“) ein schlimmes sein: Schwankten die Gespräche, die der 68-jährige promovierte Dr. jur. führt doch immer zwischen wirklich interessant und wirklich zum Ausrutschen schleimig. Wenn er sich manchmal, Friedmann-gleich, so nah an die Intimsphäre der Talkpartner schmiegte, dass nicht mal mehr ein Brillenbügel dazwischen passte, wenn er vorlaute Gästen mit seinen gelben Gesprächskarten ins Gesicht patschte, dann hielt einen nur die Lust am Sich-Winden vom Wegzappen ab.

Andererseits gelangen Bio beziehungsweise seiner Redaktion, im Gegensatz zu anderen, die meisten Treffer: Geradezu genial ist die Zusammensetzung der Gäste manchmal. Wenn Lilo Pulver bei Bio aus ihrem Leben erzählt, muss man komischerweise gebannt zuhören. Und Theo Waigel würde vermutlich niemandem sonst gegenüber zugeben, dass das „Schönste“ ist, wenn sein Sohn, „der kleine Stöpsel“, noch ein Gedicht fordert.

Das Buch jedoch schafft es, den Ekelfaktor, der bei manchen Sendungen allein durch den Duktus der Gäste oder des Moderators entstehen konnte, auszublenden: Schließlich wurden nur die besten Ausschnitte gewählt, die absurdesten, die amüsantesten. Und Bios onkelig anbiedernde Freundlichkeit kann man nicht in Zeilen pressen. Auf dem Weg zum Papier geht sie nämlich, glücklicherweise, verloren.

Das und ein paar andere Sachen machen das Buch lesenswert. Zum Beispiel ein Katz + Goldt-Comic. Und die „schönsten“ Sendetitel, die Bio zu Beginn der ersten Show verlas, und die der Fernsehöffentlichkeit, Gott sei Dank, weiterhin erspart bleiben: Hätte man sich je an „Alf, red!“, an „Je später der Bio“, „Taxi zum Talk“, „Laberland“ oder, oh Grausen!, an „Der mit dem Bio tanzt“ festgucken können? Und sollte man in diesem Zusammenhang nicht den Vorschlag „Bios bizarre Bastelstube“ für ein zünftiges SM-Magazin im Offenen Kanal reanimieren?

Das Thema Sex und seine Ausprägungen übrigens wird im Buch, wie der Talkmaster es selbst stets vorgeführt hat, elegant umschifft. Zwar schreiben mit Matthias Frings und Maren Kroymann berufene Menschen zum Thema „Wenn Frauen Frauen lieben“ und „Schwule Väter“. Aber zu Bio selbst üben sie die angebrachte Zurückhaltung: „Bio, dessen Bezug zum Thema bekannt ist und auch damals schon war, ist ein entspannter, konzentrierter Gastgeber“, findet Kroymann. Einer, der „dem großen‚ ,normalen‘ Publikum eine einmalige Chance bietet: Er kann das mitunter auch als Liberalität getarnte Desinteresse (Ich hab nix gegen Schwule. Die können von mir aus machen, was sie wollen!) binnen einer Stunde in Anteilnahme und Respekt ummünzen“. Angenehm unaufgeregt. Wie es eben auch im richtigen Leben sein sollte.

Das Buch ist solider, öffentlich-rechtlicher Fernseh-Fun, witziger als die Sendungen manchmal waren. Etwas Sinnvolles kann man damit auch noch anstellen: Seine eigenen Gespräche mit Zitaten von merkwürdigen Gestalten des noch merkwürdigeren deutschen Fernsehalltags würzen. Beispielsweise das, was der vor zwei Jahren verstorbene „Alte“ Siegfried Lowitz 1997 über Fernsehen gesagt hat: „Das Blut rinnt vom Fernsehschirm, man kann es nicht mehr aushalten, es kotzt einen an!“

„Boulevard Bio – Die ersten zehn Jahre“, hrsg. von Klaus Michael Heinz. KiWi, Köln 2001, 208 Seiten, 39,90 DM

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