piwik no script img

Lasst uns fröhlich sein

■ VfL Bad Schwartau holt sich den Deutschen Handball-Pokal in der Alsterdorfer Sporthalle

Einmal im Jahr kommen sie aus den Metropolen und überschwemmen die Provinz: Sie kommen aus Dankersen angereist, aus Dutenhofen-Münchholzhausen, aus Bad Schwartau, aus Nordhorn – aus all den Hauptstädten des deutschen Handballs, um in der Handball-Diaspora Hamburg ihren Pokalsieger zu küren. Die Alsterdorfer Sporthalle ist dann gefüllt mit Busladungen von stolzen KleinstädterInnen. Sie bringen ihre Lokalreporter mit von der Lippischen Landeszeitung oder der Wetzlarer Neuen Zeitung, Männer mit Ledermappen, die sie auf der Jahreshauptversammlung der lokalen Volksbank geschenkt bekommen haben. In ihre Notizblöcke in den Ledermappen schreiben sie: Pokalsieger 2001 ist der VfL Bad Schwartau nach einem 26:22 über die HSG Dutenhofen-Münchholzhausen Wetzlar.

Die letzte Hoffnung Schleswig-Holsteins hatten die AnhängerInnen des VfL auf ihre T-Shirts drucken lassen und mit Genugtuung die Namen THW Kiel und SG Flensburg-Handewitt darauf durchgestrichen. Bisher ist Bad Schwartau immer das Aschenputtel im Nord-Handball gewesen: Mittelmaß, graue Mäuse.

Aber jetzt: „Wir sind hierher gefahren, um den Pokal zu holen“, hat Trainer Anders Fältnäs schon nach dem Halbfinal-Sieg über Nordhorn gesagt. Der Finalgegner aus dem Hessischen, dessen Heimat – dies bemerkenswerte Detail entnimmt man dem Programmheft – bei Heimspielen zur „größten Kneipe Mittelhessens“ umfunktioniert wird, hatte beim Halbfinale schon gezeigt, was die Norddeutschen erwartet: Eine ganz starke erste Hälfte, und danach ein derartiger Angsthasenhandball in der 2. Halbzeit, dass man eigentlich nur die ersten 30 Minuten relativ schadlos überstehen muss.

Genauso war es dann im Endspiel auch: Die Hessen legten los wie Besessene, die Wetzlarer Lokalreporter bekamen auf der Pressetribüne die Arme gar nicht mehr herunter vor lauter Jubel, und nur der nebendran sitzende Kollege von der Bild-Zeitung, augenscheinlich ein heißblütiger Verfechter schleswig-holsteinischen Lokalpatriotismus, starb tausend Tode. Er hatte schon zur Halbzeit sein Repertoire an Schimpftiraden durchprobiert: „Dummes Arschloch“, „schwarze Sau“ – die ganze Palette, wahlweise an die Wetzlarer Spieler oder an die Schiedsrichter gerichtet. Dabei hätten eher die Schwartauer das eine oder andere Four-Letter-Word in Hälfte eins verdient gehabt. Deckungslöcher, schwache Wurfausbeute und zahlreiche Zeitstrafen sorgten dafür, dass sie zur Pause 10:13 hinten lagen.

Das schwache Niveau zog sich durch das ganze Endspiel. Immer rein in die Deckung, einen Siebenmeter herausholen, tot oder lebendig, und die Kreisspieler, gemeinhin vorzeitig gealterte Männer mit lichtem Haar, die ein Minimum an spielerischer Finesse mit einem Maximum an Körperkontakt ausgleichen, taten ihre Arbeit.

In der zweiten Hälfte wurde eigentlich nur noch kartätscht, was das Zeug hält. Wenn wieder ein Spieler verletzt am Boden lag, spielte die Stimmungsmusik aus dem Lautsprecher dazu: „Lasst uns fröhlich sein.“ Den Überblick behielten dabei nur zwei Akteure, aber das reichte, um das Spiel zugunsten der Schwartauer umzudrehen. Torwart Goran Stojanovic, der nach ungewohnt schwacher erster Hälfte in der Pause offenbar ein Olli-Kahn-Video eingeworfen hatte und anschließend wie unter Ecstasy einen Ball nach dem anderen wegfischte. Und der 36-jährige Norweger Oystein Havang konnte anstellen, was er wollte: Der Ball landete im hessischen Tor.

Letztlich war der Deutsche Handball-Bund zufrieden mit einer ausverkauften stimmungsvollen Veranstaltung, die DutenhofenerInnen trösteten sich, indem sie auf der Reeperbahn die zweitgrößte Kneipe Mittelhessens als Enklave eröffneten, und der Kollege von der Bild-Zeitung verbrüderte sich vor Glück mit den Schwartauer Fans. Alles war gut. Peter Ahrens

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen