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Korrekte Beziehung, nicht Freundschaft

Trotz Einigkeit in Sachfragen kamen sich Kanzler Schröder und sein Amtskollege Schüssel in Wien nicht näher

WIEN taz ■ Leider hat Michael Steiner diesmal sein Gesprächsprotokoll unter Verschluss gehalten. Deswegen wissen wir nur aus der Pressekonferenz, was Gerhard Schröder und sein Amtskollege Wolfgang Schüssel am Samstag in Wien besprochen haben, nämlich die bekannten Probleme der Osterweiterung, Übergangsfristen für Freizügigkeit, die Gefahren des tschechischen AKW Temelín und andere Themen, bei denen sich die Interessen der Nachbarn weitgehend decken. Kein Treffen, das unter normalen Umständen großen Wirbel ausgelöst hätte. Zum Politikum wurde der Besuch durch das demonstrative Übergewicht der Oppositionskontakte und Schröders ausdrücklichen Wunsch, keine FPÖ-Politiker zu treffen.

Jörg Haider hatte den Kanzler in seiner Aschermittwochsrede als „Koffer in Berlin“ apostrophiert. Der Übersetzungsdienst wird Schröder aufgeklärt haben, dass man in Wien unter einem „Koffer“ eine wenig geistreiche Person versteht. Schüssel, der Haiders Sprüche normalerweise unkommentiert lässt, um den prekären Koalitionspakt nicht zu gefährden, fühlte sich nun doch bemüßigt, die Wortwahl des früheren FPÖ-Chefs zu tadeln. „Leider gibt’s immer wieder einen Ton in der Politik, der nicht in Ordnung ist.“ Nicht ohne im gleichen Atemzug die Rechtfertigung nachzuliefern: „Falsche Töne hatten auch uns getroffen. Man muss das in seiner Gesamtheit sehen, dass ein Land nämlich seine Würde hat. Da schwingen Verletzungen mit.“

Die Rolle Deutschlands bei der EU-Sanktionspolitik gegen die schwarz-blaue Regierung ist nicht vergessen – zumal Schröder es unterließ, sich Asche aufs Haupt zu streuen: „Ich sehe die Sanktionen nicht als Fehler. Es geht jetzt aber um die Gegenwart und die Zukunft.“ Auch Jörg Haider zeigte wenig Reue: „Herr Schröder gebärdet sich wie ein Feudalherr im 19. Jahrhundert mit Zigarre und bombigem Stil.“

Die Medien konnten bei Schröders Auftritten keine Protokollverletzung feststellen. Das Arbeitstreffen mit Schüssel sei der Mittelpunkt des Besuchs, stellte dieser schon am Flughafen klar und begab sich stracks zum Sommerfest der „Aktion kritischer Wähler“ in der Kreisky-Villa. Dort versuchte er sich als legitimer Nachfolger von Olof Palme und Willy Brandt zu präsentieren, die sich bei Bruno Kreisky in bester Gesellschaft gefühlt hatten: „Nehmt es, wie es ist. Ich bin interessiert an guten Beziehungen zu Österreich, dazu gehört auch die Politik. Man hat aber nicht nur Verstand, man hat auch Herz, und das schlägt in der Kontinuität der drei großen Sozialdemokraten.“

Dass Schröder dann nach den Terminen bei Schüssel und Bundespräsident Thomas Klestil ein Treffen mit Künstlern und Intellektuellen bei André Heller einer Volkstanzdarbietung in Begleitung Schüssels vorzog, ist wohl auch in diesem Sinne zu deuten: korrekte Beziehungen zur Bundesregierung begründen noch keine Männerfreundschaft.

RALF LEONHARD

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