: Der Pop der frühen Jahre
Stimme als Kompass: Der Schriftsteller D. Holland-Moritz schreibt Fiktionen eines Alltags, der sich aus Sound und Sprache zusammensetzt. Seine „Prosalieder“ lässt er mit Computer und Gitarre begleiten
von HARALD FRICKE
Er war nicht dabei. Als die Slam-Poetry-Meetings der letzten Jahre zum Tummelplatz für neue Literaten wurden, saß D. Holland-Moritz zu Hause oder im Kumpelnest. Vor ein paar Monaten hat er sich dann doch einladen lassen, zu einer Lesung des Berliner Verband deutscher Schriftsteller im Club Voltaire. Er sollte Texte über die Liebe vortragen, hat er auch. Als ihn die Frau vom VS, die Kinderbuchautorin Monika Erhardt-Lakomy, steif mit „Du“ begrüßte – „schließlich sind wir alle Gewerkschaft“ –, da war er wieder skeptisch, ob er wirklich dazugehöre. Gelesen hat er trotzdem, als „Drittjüngster der Veranstaltung“ – mit 45.
Für Holland-Moritz liegt der Pop der Literatur, auch wenn er stets neu erfunden und verworfen wird, in der Zeit zwischen 1970 und 1980. Das merkt man, wenn man sich in seiner Zweizimmerwohnung in Moabit durch die Plattensammlung wühlt oder die Bücherregale inspiziert. Dieser Pop kam aus den USA, nahm Drogen, klang nach darker Medientheorie wie bei William Burroughs und brachte Skeptiker à la Rolf Dieter Brinkmann voran im Kampf um Macht und Sprache. Vor allem gab es die Musik zur Bewegung, die sich bei Holland-Moritz in den Lyrics festsetzte. „Oft war es beim Hören der Songs bloß der Klang der Worte, der sich im Kopf ständig wiederholte“, erzählt er mit knarrender Stimme, „so machte man seine Erfahrungen mit Pop. Für mich war es ungefähr 1973 der Übergang von Velvet Underground zu Iggy Pop und David Bowie“.
Die Helden der Siebzigerjahre sind tot, manche machen auch in Aktien. Bei Holland-Moritz treffen sich ihre Lieder noch einmal in seiner Songtitel-Story „The Winds Of Change“ von 1990: Sie beginnt mit Elvis Presley, der fragt „Bist du einsam heute nacht?“ und sie endet bei Prince – „Ich wünsche euch den Himmel“. Man könnte alle 140 zitierten Stücke auf Kassetten zusammenstellen, als Jukebox eines Lebens. Man kann sich den zehnminütigen Meta-Song von Holland-Moritz aber auch auf der CD „Und immer parallel zur Venus“ anhören, die vor kurzem im Martin-Schmitz-Verlag erschienen ist: Textsampling im Fluss einer elektronischen Collage.
„The Winds Of Change“ ist Zugabe und Bestandsaufnahme zugleich. Für die anderen fünf CD-Titel haben Bernhard Steudel und Hannes Perkunder einen Soundtrack aus Swing und Techno komponiert, über den Holland-Moritz kurze Geschichten spricht. Mal geht es um die Erfahrungen eines Reisenden, dem sich Prag als zweidimensionale Bildfläche darstellt; mal werden die Söldner der Kriege am Golf und auf dem Balkan ins Alltagsgefüge der Großstadt verschoben, damit sich die Gegenwartsgeschichte im geraden Beat der Clubkultur fortschreibt. Oder wie Holland-Moritz zu Beginn des Stücks ausruft: „Verdammt, das ist mehr als ein Blues.“
Vor allem ist das Ergebnis mehr als ein Hörspiel – es sind „Prosalieder“. Der Begriff fällt beiläufig im Gespräch und doch scheint sich das damit verbundene Programm eng an die Tradition der Beat-Literatur zu schmiegen. Für Holland-Moritz ist es die Performance, der Klang gewordene Text zwischen Gitarrenfeedback und Computerrhythmen, der die geschriebene Sprache „herauskatapultiert aus dem Schriftstellernebel“. Seit über fünf Jahren arbeitet er an solchen Übergängen von Medium zu Medium: 1996 entstand gemeinsam mit Jörg Langkau der Film „Die Langdon Connection“, der im Panorama der Berlinale 1997 uraufgeführt wurde; ein Jahr später folgte unter der Regie von Heike Ollertz „Der Staub der Stadt“ als schwarzweißer Industrial-Clip, der auch im WMF lief.
Am meisten verdichten sich die schnellen, assoziativ gehaltenen Geschichten Holland-Moritz’ allerdings in der Musik. Dann lösen sich die schnappschussartigen Bilder, die er Satz für Satz wie in einem Diakarussell aneinander reiht, als gesprochener Text praktisch von selbst in Klang auf. Die Stimme ist ein Instrument unter anderen, die Syntax ordnet das Material. Erst in dieser Welt aus Sound öffnen sich für Holland-Moritz „Räume, in die man unbelastet Fantasien, Erfahrungen oder Projektionen hineinstellen kann“.
Dass diese Räume in der Realität weiter schrumpfen, nimmt er einigermaßen missmutig zur Kenntnis: „Mittlerweile wird sogar schon die Galaxis unter den Staaten und Unternehmen aufgeteilt“. Deshalb wird irgendwann allein der Text noch „Terra Incognita“ sein, sagt er und macht sich Notizen. Im Vortrag wächst aus diesen Partikeln ein Plateau, auf dem sich der Autor sprechend vorwärts bewegt, von Beat zu Beat. Oder rückwärts. Oder zur Seite. Denn auf dem „Weg durch Gegenwelten“, so der Titel seines letzten Buches, weiß Holland-Moritz nie, wo er sich gerade genau befindet: „Man hat etwas geschrieben, dann stockt man, liest noch mal und stellt fest – es klingt nicht gut.“
D. Holland-Moritz liest heute mit Bernhard Steudel, 21 Uhr, im Kaffee Burger
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