berliner ökonomie: Billig reisen in der Schriftstellerfantasie
Russendisko im Bauch
Auf einer Buchpremiere kam ich mit einem Lektor ins Gespräch. Zwar hörte er sich ganz interessiert die aberwitzigen Ausführungen zu meinem Roman an: Raketentechnik, V2, Avus, Mondlandung und Autobahn, Hitler, Wernher von Braun sollten darin vorkommen. Doch obwohl der Herr aufmerksam blieb, erwartete ich eher die Frage: „Kommen da auch Außerirdische drin vor?“
Ob es mit diesem Gespräch zu tun hatte oder mit etwas anderem, tatsächlich unterschrieb ich einen Vertrag mit ebendem Verlag, der sich tatsächlich auf das Wagnis einließ, Geld für einen gerade mal zu einem Drittel fertigen Roman zu überweisen. Geld mag den Charakter verderben, mag an fast allen Übeln der modernen Zeit schuld sein, aber die Hochstimmung, die es bei mir auslöste, ist noch nicht verflogen.
Jahrelang hatte ich die aberwitzigen Dispozinsen bezahlen müssen, alle Versuche, meinen Kontostand Richtung null zu bringen, hatten nicht gefruchtet. Nun war der warme Geldsegen aus München auf mein Konto transferiert, und statt des Geldmangels blieben nur noch Zeitprobleme. Ununterbrochen riefen die emsigen Redakteure an, nur schien mir aus unerfindlichen Gründen das Zeilenhonorar umgekehrt proportional zum Telefonierfleiß der Schriftleiter zu sein.
Im März war ich dann auf einer Pressekonferenz, Manfred Stolpe war entweder gerade auf einer südlichen Insel oder hatte unter der Höhensonne gesessen, so braun gebrannt sah er aus. Da beschloss ich, mal eine Woche wegzufahren. Das Wetter war grau und kalt, ich wollte in die Sonne. Ich wollte das tun, was man tut, wenn man einen Vorschuss für einen noch unvollendeten Roman bekommen hat: in Ruhe arbeiten. Ich wollte nicht einkaufen müssen, keine brüllenden Kinder, die von Hochbetten fallen, nicht aufräumen, Staub saugen oder abwaschen.
In der Flugbörse erkundigte ich mich: Für Ägypten gab es nichts in der einen Woche, die ich mir freigeschaufelt hatte, bei Marokko und Tunesien war es dasselbe. Die Dame tippte weiter in den Computer. Teneriffa, sagte sie, da wäre durchaus was frei, aber Colombo, also Sri Lanka, gab es für denselben Preis. Auf Teneriffa war ich vor Jahren schon mal, also Sri Lanka für 1.500 Mark, eine teure Woche. Deckenventilator würde ich haben, dort seien 30 Grad am Tag, 20 in der Nacht, Regenzeit beginne erst später.
Bald saß ich im Flugzeug, das wunderbare Buch „Geschichte der Eisenbahnreise“ von Wolfgang Schivelbusch spiegelte sich über Dubai im Flugzeugfenster. Ich las darin: „Der Amerikaner verzehrt sich in einer Leidenschaft für die Bewegung, er kann an keinem Ort bleiben; er muß aufbrechen und ankommen, er muß seine Glieder ausstrecken und seine Muskeln in Bewegung halten. Wenn seine Füße sich nicht bewegen, müssen seine Finger agieren; immer muß er etwas tun, ein Stück Holz schnitzen, seine Stuhllehne bearbeiten oder die Tischkante, oder kaut seinen Tabak . . . Nie ist er untätig, immer ist er in Eile. Er eignet sich für jede Arbeit, nur nicht für eine solche, die eine bedächtige Langsamkeit erfordert. Davor hat er Angst; es ist für ihn die Vorstellung der Hölle.“
Dann lag ich auf dem Hotelbett. Bei meinem Reiseadapter war kein Stecker für die ceylonesischen Dosen dabei, aber mit einem Kniff bekam ich meinen Laptop doch noch angeschlossen. Bald merkte ich jedoch, dass es in dem Gerät wimmelte, in den Spalten, zwischen den Tasten waren kleine Spinnen, Minikrabben oder Ameisen. Ich hoffte, dass sie nicht auf die Festplatte pinkelten.
Ich besuchte noch einen netten Biergarten, man ist ja als Deutscher im Ausland dem Ruf seines Heimatlandes etwas schuldig. Und da fing es an, mit Kopfschmerzen. Im Hotelzimmer kam Durchfall dazu und Fieber, sodass ich mich trotz tropischer Hitze bibbernd einmümmelte. Tage scheißenden Elends schlossen sich an. Mühsam schleppte ich mich manchmal raus, um mit Cola den enormen Flüssigkeitsverlust irgendwie wett zu machen. Jede Nacht war schrecklich, mein schmerzender Unterleib, 10- oder 50-mal aufs Klo. Ich hatte die Vorstellung, ein CD-Spieler zu sein, der für russische Frauen spielen musste, und die CDs schmerzten im Bauch. Dass abends manchmal eine halbe Stunde bis zum nächsten Gang verging, schien mir fast als Zeichen baldiger Genesung.
Der Hotelmanager empfahl mir Tabletten, nur unwesentlich besserten sie meinen Zustand, bis ich wieder durch Colombo fuhr, wo bunte Buddha- gegen Jesusfiguren konkurrieren. Das Essen im Flugzeug war ziemlich schlecht, aber ich stopfte alles in mich hinein, aß Lamm und trank Wein von der Schwarzmeerküste bei Varna bis zur Donau bei Bukarest. Zu guter Letzt war ich doch wieder gesund geworden. Zurück in Berlin war ich völlig übermüdet, sah alles wie durch Watte, hatte Realitätsstörungen. Trotzdem rauchte ich noch etwas Marihuana, und als ich während des Einschlafens hochkomplexe zitternde Gebilde, ganze Gebirge voller Anspielungen, Bilder und Querverweise in atemberaubenden Tempo vorüberziehen sah, wurde mir klar, dass die billigsten Reisen nichts mit Geografie zu tun haben müssen. FALKO HENNIG
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