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„Kleines Tal der Tränen“

Kompakt zu informieren ist erklärtes Ziel der „Financial Times Deutschland“. Jetzt wird sie wohl noch kompakter: Die Wirtschaftszeitung muss sparen und will deshalb verstärkt auf die Kooperation mit der englischen Schwester setzen

von STEFFEN GRIMBERG

Mitte Mai bekam die Financial Times Deutschland wieder einmal hohen Besuch aus London: FT-Geschäftsführer Olivier Fleurot brachte neben einem klaren Bekenntnis des Mutterhauses zur deutschen Schwester diesmal aber auch dezidierte Sparwünsche mit. Drastische, wie sich jetzt abzeichnet: Das Moskauer FTD-Büro soll offenbar geschlossen werden, weitere Korrespondentenstellen – unter anderem in Japan – stehen angeblich auf dem Prüfstand.

„Zu einzelnen Stellen möchte ich keinen Kommentar abgeben“, sagt FTD-Chefredakteur Andrew Gowers, bestätigt aber, dass man „verstärkt auf die Kooperation und Integration“ mit der englischen Schwesterzeitung setzt: „Unter diesem Gesichtspunkt gucken wir uns gerade unsere Ressourcen an.“

Im Klartext dürfte das heißen: mehr aus dem Englischen übersetzte Artikel der FT-KorrespondentInnen. Dass hierbei der speziell deutsche Blickwinkel auf die Ereignisse verloren geht, stellt für Gowers kein Problem dar: „Die Berichterstattung der FT ist sehr international angelegt – wie die der FTD auch.“ Und außerdem werde man auch weiterhin über ein umfangreiches eigenes Korrespondentennetz verfügen.

Nicht nur im Ausland wird gespart, auch an den deutschen FTD-Standorten wird längst nicht mehr jede frei werdende Stelle automatisch neu besetzt. „Mit rund 250 Mitarbeitern haben wir unsere Sollstärke mehr als erreicht“, so FTD-Sprecherin Susanne Jesche, „richtig ist, dass wir sparen“ – eine Selbstverständlichkeit in Zeiten, in denen sich der Anzeigenmarkt nicht so positiv entwickelt. Das, sagt Gowers, sei nicht nur „ganz normales, verantwortungsvolles Management“, sondern im Prinzip auch „ein Zeichen von Reife“: Noch vor sechs Monaten wären die jetzt für Verlag und Redaktion verordneten Sparziele von „deutlich weniger als zehn Prozent“ kaum zu realisieren gewesen. Doch jetzt habe sich die Lage stabilisiert.

Hinter den Sparzwängen steht derzeit vor allem die britische Pearson-Gruppe, gemeinsam mit der Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr Eigner der FTD. Pearson musste im vergangenen Jahr einen empfindlichen Gewinnrückgang und daraus resultierende Kursverluste hinnehmen, weil enorme Investitionen ins Internet-Geschäft der Financial-Times-Gruppe das Konzernergebnis belasteten. Bis Ende 2002 soll FT.com jetzt schwarze Zahlen schreiben, und um die Investoren milde zu stimmen, wurde auch der Londoner FT ein Sparprogramm verordnet.

Bei der FTD nicht wieder besetzt wurden bisher z. B. Stellen im Wochenendmagazin Weekend, stattdessen hat das Blatt seit Februar einen eigenen täglichen Kultur- und Sportteil in Kooperation mit der ebenfalls zu Gruner + Jahr gehörenden Berliner Zeitung aufgebaut. Dem Weekend, ist in der Hamburger Zentralredaktion zu hören, stehen jetzt noch weitere Änderungen bevor: Es soll mit der erst Ende September 2000 gestarteten, freitäglichen Investment-Beilage Portfolio zusammgehen, die dazu von bisher acht auf vier Seiten eingedampft wird.

Auch die renommierte „Leute“-Seite, auf der die FTD unter anderem ihre viel beworbenen „101 Köpfe der New Economy“ porträtierte, gilt als zu aufwendig. Ab Dienstag kommender Woche, so Gowers, werde als neues Format an prominenterer Stelle dafür ein tägliches, nachrichtenorientiertes Porträt eingeführt. Außerdem ist ein Ausbau des Stellenmarktes vorgesehen: „Wir haben also nicht nur Seitenreduzierungen, sondern es kommt auch etwas hinzu.“

In der Redaktion wird diese Entwicklung mit deutlich gemischteren Gefühlen kommentiert: „Als Erstes wird von hinten gespart“, meint ein Redakteur. Veränderungen seien mit der Redaktion kaum abgesprochen worden, eine konkrete Strategie über den Sparzwang hinaus sei schwer zu erkennen: „Da wird eher konzeptionslos von heute auf morgen verfügt.“

Auch im Online-Bereich, dem Herzstück der FTD-Vision von einer Wirtschaftszeitung neuen Typs, die Printversion und Internet-Angebot intelligent miteinander verknüpft, bleiben frei gewordene Stellen unbesetzt: Von einem „kleinen Tal der Tränen“ soll Online-Chef Peter Berger gesprochen haben, heißt es in Hamburg.

Immerhin: Noch steigt die Auflage. Im zweiten Quartal 2001 werden durchschnittlich 73.000 verkaufte Exemplare (nach 70.248 im ersten Quartal) 2001 erwartet. Solange das so bleibt, hatte Fleurot vor gut zwei Wochen versichert, könne von einer Existenzkrise der FTD keine Rede sein.

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