: Bremen: Deutschlands Killercity Nummer 1?
■ Wir sind spitze bei Mord, Vergewaltigung und Raub, schreibt der Stern in seiner aktuellen Ausgabe / Ist Bremen deshalb die gefährlichste Stadt der Republik?
Ist Weser-City Deutschlands Killerstadt Nummer 1? Ja, sagt der Stern in seiner neuesten Ausgabe. Bezogen auf die Einwohnerzahl gab es an der Weser im Jahr 2000 die meisten Mord- und Totschlagdelikte aller deutschen Städte über 200.000 Einwohner: Exakt 8,3 Taten auf 100.000 Bremer. Bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung liegt Bremen auf Platz 2 (21,8 auf 100.000), bei Raub auf Platz 3 von 43 Großstädten (276 Taten auf 100.000).
Horror-Meldungen. Aber lebt es sich deshalb in Kreuzberg oder auf der Reeperbahn sicherer als im Bremer Viertel? Alles eine Frage der Statistik-Deutung.
„Die Bremer Bürger fühlen sich sicher“, sagte der scheidende Innensenator Bernt Schulte noch vor wenigen Wochen bei der Vorstellung der Bremer Polizeistatistik, die zum ersten Mal seit fünf Jahren einen Anstieg verzeichnete – um sieben Prozent.
„Man muss sich die Zahlen genau ansehen“, meint Dieter Oehlschläger von der Gewerkschaft der Polizei. Allerdings habe gerade der Anstieg der Raubdelikte in Bremen um 8,5 Prozent auf 1.747 Fälle „nicht unerheblich mit der geringen Zahl von Polizisten auf der Straße zu tun“. In den letzten zwei Jahren seien von den 2.600 Stellen 200 gestrichen worden. Dabei habe eine mit Senat und Polizei besetzte Arbeitsgruppe festgestellt, dass Bremen 500 Polizisten fehlten. Oehlschläger: „Irgendwann rächt sich das. Die Personaldecke ist dünn.“ Auch der massive Anstieg der Handtaschendiebstähle von 144 auf 270 Fälle – ein Plus von fast 90 Prozent – sei auf zu wenig Polizeipräsenz zurückzuführen.
Selbst Matthias Güldner von den Grünen fordert mehr Streifen auf der Straße: „Seit 1995, seitdem die CDU den Innensenator stellt, wird uns die Mär von der inneren Sicherheit vorgesetzt – tatsächlich streicht sie Stellen.“ Nicht die diskutierte Videoüberwachung, nicht der finale Rettungsschuss würden Sicherheit bringen, sondern mehr Prävention. Güldner: „Vorsorge ist natürlich sehr personalintensiv – für Bremen viel zu teuer.“
Unisono relativieren die Experten die Stern-Schlagzeilen zu den Morden. Tatsächlich gab es in Bremen im vergangenen Jahr nämlich „nur“ sechs Morde sowie 39-mal versuchten Mord und Totschlag. „Natürlich schlimm, aber immer noch eine relativ kleine Zahl“, findet Hermann Kleen, innenpolitischer Sprecher der SPD. „Das ist doch sehr von Zufällen abhängig. Im nächsten Jahr haben wir drei, die anderen sechs – und sind deutsche Mordhauptstadt“, meint Güldner.
Ähnlich verhält es sich mit den Zahlen zu sexuellen Übergriffen. Im letzten Jahr gab es an der Weser 116 Fälle, 3,3 Prozent weniger als im Vorjahr. Zu viele, findet auch SPD-Mann Kleen. „Aber: Diesen Vorwurf der Polizei zu melden, ist eine Frage des Vertrauens. In Bremen trauen sich die Frauen, weil sie das Gefühl haben, gehört zu werden. Anderswo ist das Klima viel repressiver – deswegen werden weniger Delikte gemeldet.“
Merke: „Jede Statistik ist mit Vorsicht zu genießen“, sagt Innen-Sprecher Markus Beyer. „Die Stern-Statistik, aber auch unsere eigene.“ Bremen habe heute immerhin seinen „Ruf aus den 90er Jahren verloren, Kriminalitätshochburg Norddeutschlands zu sein“, sagt Hermann Kleen. „Natürlich sind die Zahlen wenig beruhigend. Aber in der Statistik tauchen nur die Delikte auf, die gemeldet werden.“ Seit der Einrichtung der Soko Graf-iti in Bremerhaven habe es dort einen massiven Anstieg bei den Sachbeschädigungen gegeben. Kleen: „Das muss auch so sein, sonst hätte die Soko nicht gut gearbeitet.“
Nachtrag: Laut Stern ist Hamburg insgesamt die gefährlichste, Bielefeld die sicherste Großstadt Deutschlands. Bremen kommt beim Verbrechens-Ranking auf Platz 8. Oder ist es hier doch am gefährlichsten? Alles eine Frage der Statistik. ksc
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