Schule der Euphorie

Re-Connected: Sie waren mal Stars und gaben einer Dekade den Slogan. Jetzt, nach neun Jahren, sind die Stereo MC’s wieder da und: Alles wird gut

von TOBIAS RAPP

Auf den ersten Blick erschrickt man. Rob Birch, Frontmann der Stereo MC’s, sieht im wirklichen Leben tatsächlich genauso aus wie auf Fotos. Er ist klein, hager, und sein Gesicht eingefallen zu nennen wäre eine Untertreibung. Die Haare sind kurz, man sieht den Schädel. Er trägt eine abgetragene Jacke, die irgendwann einmal ein Parka gewesen sein muss, und eine Hose, die an eine Army-Hose erinnert, wäre sie nicht so unglaublich baggy. So sitzt er da und raucht, die Arme auf die Knie gestützt. Er hat Ringe an seinen Fingern. Auf den zweiten Blick erschrickt man noch einmal. So sah er doch schon vor zehn Jahren aus. Und auf den dritten Blick stellt man fest: Eigentlich macht er einen ganz entspannten Eindruck.

Sieht man so aus, wenn man überlebt hat? Sieht man so aus, wenn man all die Höhen erklommen hat, die das Popgeschäft für den Erfolgreichen vorgesehen hat, und all die Täler durchschritten, die im Schatten des Erfolgs liegen? Oder ist das schlicht die Miene, die man aufsetzt, wenn man jedem das Erstaunen darüber anmerkt, wieder da zu sein? Mit einem Album, das sich anhört, als sei man nie abgetaucht?

Neun Jahre ist es her, seit die Stereo MC’s ihr letztes Album veröffentlichten. „Connected“, die Platte, die die Band nach fünf Jahren und drei Alben auf einmal zum One-Hit-Wonder machte. „Wir sind getourt und wir waren müde. Wir sind für ein Jahr nicht mehr nach Hause gekommen. Es ging einfach nichts mehr. Wir hatten allesamt private Probleme, wir waren fucking Superstars und kamen damit nicht mehr klar. Das waren pretty bad years. Aber vielleicht mussten wir uns ja fast selbst zerstören, um jetzt wieder wir selbst sein zu können“, sagt Nick Hallam, der musikalische Kopf der Band. Er trägt eine schwarze Sonnenbrille, ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose. Man wagt es kaum, sich vorzustellen, wie das wohl im Detail ausgesehen haben mag, das mit der Selbstzerstörung – da erhebt Rob Birch die Stimme. „Hör mal. Erfolg bedeutet, dass du deine meiste Zeit weit weg von zu Hause verbringst. Wenn du aus dem Nichts kommt, wenn du nichts hast, dann denkst du, du müsstest alles machen, was dir angeboten wird. Und wenn du das machst, dann fängst du an Dinge zu vernachlässigen, von denen du glaubst, du würdest sie umsonst bekommen. Das normale Leben. Und das war das Problem. Denn das ist unsere Musik. Wir leben ein normales Leben und daraus entsteht die Musik. Sich jeden Tag zusammensetzen und Musik machen. Erfolg ändert so was. Erfolg macht so was zu einem Witz. Das mussten wir für uns klären. Dass wir so was nicht nochmal machen.“

Nun war „Connected“ ja nicht nur ein Album. Vor allem war es ein Song, der im Laufe der Zeit eine ähnliche Eigendynamik gewann wie sonst vielleicht nur noch der „Pulp Fiction“-Soundtrack. Ein Stück, das die ganzen Neunziger in sich aufhob. Die Euphorie, dass man seinen Computer via Telefonbuchse mit den Rechnern all derjenigen verbinden kann, die sich auch einstöpseln. Die Wiedergeburt der Idee des Kollektivs in der Vorstellung des Netzwerks. Wenn sich alle connecten, dann wird alles gut. Jahrelang konnte man dem Stück kaum entgehen, wo immer sich die Besucher irgendwelcher Partys nicht einigen konnten, ob man nun Gitarrenmusik oder Computermusik hören soll – irgendwann einigte man sich auf die Stereo MC’s.

Das funktionierte, weil die Stereo MC’s Band genug waren, um auch für die verständlich zu sein, die Erzeugnissen des Dancefloor-Planeten eigentlich mit Misstrauen gegenüberstanden. Und für Leute, die sich mit den komplizierten Überbauten nicht anfreunden wollten, der sich in den frühen Neunzigern zwischen HipHop und seine deutsche Rezeption stellte, waren die Stereo MC’s aus England verständlicher und näher dran.

„Connected“ war eigentlich nur so ein kleiner Track, von dem wir eine Weile leben konnten“, sagt Rob Birch. Und nicht nur die Stereo MC’s: denn die Idee, Elemente von HipHop und Rave in einer Band zu vereinen, hielt eine ganze Reihe britischer Formationen in Lohn und Brot – während die Stereo MC’s abhingen, nichts auf die Reihe bekamen, sich irgendwann ein Haus kauften und dort ein Studio einrichteten.

Erst ihre „DJ-Kicks“-Platte brachte sie wieder auf die richtige Spur. „Das war nicht schlecht, zu sehen, dass wir was fertig kriegen konnten“, sagt Hallam und Birch ergänzt: „Wir spielen in unserem Studio Tischfußball und trinken Tee. Das ist nicht wie zur Arbeit gehen. Wir hängen da zusammen, und andere Leute kommen und gehen. Livin’ it, you know.“ Ungefähr so hört sich die Platte auch an. „Deep, down & dirty“ atmet den entspannten Geist des kollektiven Abhängens. Aber nicht nur das: Nach drei Takten erkennt man diesen ganz bestimmten Stereo MC’s-Sound, diese Mischung aus Rave, HipHop und Funk: Ein treibendes Schlagzeug, ein ganz bestimmter Orgelklang, Frauenstimmen im Hintergrund und über all dem Robs Stimme, wie er Slogans von so allgemeingültiger Leere skandiert wie „We belong in this world together / what’s going on“ oder „Free mind / Clear thoughts“. Die große Schule der Euphorie.

Zu guter Letzt gibt einem Rob Birch dann noch so eine Sentenz mit auf den Weg, welche die Eingangseindrücke eins, zwei und drei zusammenfasst und auf eine Ebene transferiert, wo Musikerquatsch und große Weisheit eins werden: „Man wird so leicht davongetragen, und dann wacht man in Hollywood auf: die hellen Lichter. Wir wollen nur unsere Musik spielen.“

Stereo MC’s: „Deep, down & dirty“ (Island/Mercury/Universal)