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Anhören und anschreien

Berliner Flughafengegner protestieren am ersten Tag der öffentlichen Anhörung zum neuen Hauptstadt-Airport. Die Veranstaltung musste abgebrochen werden. Fortgang des größten Erörterungsverfahrens der Republik ist ungewiss

von RICHARD ROTHER

Eine Fabrikbrache, ein Parkplatz, ein Lidl-Supermarkt, zwei Wachschützer mit kurz rasierten Haaren – eine ostdeutsche Idylle. Die Rathenau-Halle im niedergehenden Ostberliner Ortsteil Schöneweide ist seit gestern Schauplatz des größten Anhörungsverfahrens zu einem Verkehrsprojekt, das die Bundesrepublik je gesehen hat. Von Idylle ist jedoch keine Spur – beim Kampf um den künftigen Berliner Großflughafen in Schönefeld, im Speckgürtel am südöstlichen Stadtrand gelegen, kochen die Emotionen hoch: „Wir sind das Volk“, rufen die knapp tausend betroffenen Bürger in der Riesenhalle, pfeifen, grölen, klatschen jeden nieder, der auf dem Podium das Wort ergreifen will.

Nach ein paar Minuten schon ist der erste Anhörungstag Makulatur. Veranstaltungsleiter Joachim Leyerle bricht die Versammlung ab, verordnet eine mehrstündige Zwangspause. Am Nachmittag muss die Veranstaltung erneut wegen Tumulten abgebrochen werden. Die betroffenen Bürger aus dem Ostberliner Umland haben nicht nur Demokratie gespielt, sie haben auch einen ersten Etappensieg erreicht. Denn solange das Anhörungsverfahren nicht beendet ist, so lange kann kein Planfeststellungsbeschluss für das Acht-Milliarden-Projekt ergehen, und so lange kann der Großflughafen, mit dem die Hauptstadt eine internationale Drehscheibe im rasch wachsenden Flugverkehr werden will, nicht gebaut werden – das Hauptziel des Protests.

Die Bewohner der betroffenen Gemeinden befürchten die Zunahme beim Fluglärm durch den geplanten 24-Stunden-Betrieb, Luftverschmutzung, Lebensrisiken wegen möglicher Abstürze und vor allem den rapiden Wertverlust ihrer Grundstücke. Bis heute habe sein Eigenheim die Hälfte des Wertes verloren, klagt ein Betroffener. Dabei sind die Vorortgemeinden eine Ausnahme in den strukturschwachen neuen Ländern, einschließlich Westberlin: Die Arbeitslosigkeit ist deutlich geringer als der Durchschnitt, mehr oder weniger wohlhabende Berliner aus dem Ost- und Westteil der Stadt sind hierher gezogen und sorgen für Steuereinnahmen.

Diese grüne und boomende Idylle ist bedroht, und deswegen darf es in der Rathenau-Halle keine Idylle geben. Auch wenn Vertreter vom Verkehrsministerium eine „sachliche Diskussion“ fordern. Die Anwohner haben sich lange auf diesen Tag vorbereitet: mehr als 130.000 Einwände gegen das wichtigste Infrastrukturprojekt der Region sind bei den Behörden eingegangen, rund 67.000 Personen haben rund 4.000 Argumente gegen den stadtnahen Airport hervorgebracht. All das soll in 60 Verhandlungstagen abgearbeitet werden; daran glauben aber nicht einmal die Veranstalter. Sie haben die Riesenhalle, in der bis zu 5.000 Zuschauer auf Video-Leinwänden jede Präsentation verfolgen können, bereits für mehrere Monate gemietet.

Und die Gegner spielen auf Zeit. Nach dem Protest soll die juristische Auseinandersetzung kommen. „Das ganze Projekt kann an einer einzigen Einwendung scheitern“, sagt Ferdi Breidbach, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und Ex-Bürgermeister von Diedersdorf. Er hat sich dort vor einigen Jahren ein Haus gekauft, das in der geplanten Einflugschneise liegt.

Heute organisiert der CDU-Mann die Proteste, bei denen ehemalige Ostler und Westler gemeinsam kämpfen. „Hand in Hand – Widerstand“, rufen sie nach dem Abbruch der Veranstaltung. Dann ziehen sie, Durchschnittsalter über fünfzig, auf einer Sponatandemonstration durch Schöneweide. Angeführt unter anderem von der Berliner PDS-Landtagsabgeordneten Jutta Matuschek. Nicht nur in den Vorortgärten, auch auf der Straße wächst zusammen, was zusammengehört.

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