: Glamour auf Din A 4
Marilyn für 20 Pfennig: Unergründlich und unverschämt
Ich war sechs, als ich Monroe-Fan wurde. Natürlich wusste ich weder, was ein Fan ist, noch hätte ich sagen können, wieso mich diese Frau faszinierte, aber das änderte nichts an der Tatsache.
Es war Anfang der 60er-Jahre. Wir waren gerade aus Polen gekommen – rübergemacht, hieß das in meiner Familie – und in den äußersten Westen der Republik gezogen. Wir, das waren meine Eltern und ich und ein paar Geschwister. Unsere Wohnung lag am Rande der Innenstadt, das nächste Kino war zehn Fußminuten entfernt und hieß Gloria-Palast.
Ein paar Jahre später, bei den Kindervorstellungen am Sonntagvormittag, sollte ich es von innen kennen lernen, aber das war nach meiner ersten Begegnung mit Marilyn. Meine Eltern liebten Kino. Es war neben Tanzen das größte Vergnügen ihrer jungen Jahre, und bereits in Polen hatten sie sich jeden Film angesehen, wenn sie nur Karten bekommen konnten. Im Westen war es damit nicht mehr so schwierig und wann immer sie es irgendwie einrichten konnten, trabten sie im Laufschritt ins Gloria und hetzten wieder zurück.
Alle drei bis vier Wochen kamen sie also nach knapp zwei Stunden beschwingt nach Hause zurück und brachten sie mit: dünne Programmhefte, etwa Din A 4, schwarzweiß bedruckt, voller Fotos aus dem jeweiligen Film, für 20 Pfennig an der Kinokasse erstanden. Das war meine Stunde. Die Bilder der Filmheftchen waren das Gegenstück zu den lachhaften Abbildungen in meiner Lesefibel. Wahrscheinlich habe ich sie deshalb so gründlich studiert und dabei die Monroe entdeckt.
Sie stand da und lächelte, unergründlich anziehend. Das eine Bein leicht angewinkelt in schwarzem Netz, ein bisschen rätselhaft, ein bisschen verschämt – kindlich kokett würde ich heute sagen, aber darum geht es ja nicht. „Machen wir’s in Liebe“ hatten meine Eltern gerade gesehen und ich betrachtete Marilyn Monroes Gesicht auf dem braunen Papier und bekam eine Ahnung davon, was Bewunderung heißt. Meine Mutter war damals 28 Jahre alt, ein wenig jünger als Marilyn und ebenso schön. Aber sie gehörte nun einmal nicht in diese Bilderwelt mit ihrem undefinierbaren Glanz. Jedenfalls, dieses Filmheftchen und das Lächeln der Monroe waren für mich lange Zeit Kino. Später habe ich noch eine Reihe Monroe-Phasen durchgemacht. Die Zeit der Verachtung für ihre alberne, dick aufgetragene Naivität; die feministische Wut auf das dumme Blondchen als Sex-Ikone; das Bedauern für das tragische Opfer von Hollywoods Männerwelt. Bis ich mich schließlich dazu überredete, ihre spielerische Erotik als subversiv und sie als die beste Parodie ihrer selbst zu begreifen. Ich bin wieder Fan.
BASCHA MIKA
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