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Regierender auf Crashkurs

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) fordert von Senatoren bis Dienstag, 17 Uhr Vorschläge für neue Sparmaßnahmen. SPD-Fraktionschef Wowereit stellt das Koalitionsbündnis in Frage. Diepgen immer unbeliebter

von RICHARD ROTHER

Die Finanzkrise in der Stadt weitet sich zu einer Koalitionskrise aus: Nachdem SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit den Nachtragshaushalt als mögliche Sollbruchstelle der Koalition bezeichnete, stellte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) klar, dass er bestimmte Bereiche bei möglichen Sparmaßnahmen ausgenommen wissen wolle. Das betreffe etwa die Verbrechensbekämpfung und die Justiz: „Wenn es da Schwierigkeiten gibt, sehe ich die Sollbruchstelle auch“, sagte Diepgen. In einem Brief forderte er von seinen Senatoren, bis Dienstag, 17 Uhr „konkrete Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung“ vorzulegen – am nächsten Tag tagt der Koalitionsausschuss von CDU und SPD über die Sparbeschlüsse zur Bewältigung der Finanzkrise der Stadt.

Unterdessen hat der bayrische Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) sich überraschend dafür stark gemacht, dass der Bund dem notleidenden Land Berlin finanziell stärker hilft. Die „typischen Hauptstadtaufgaben in repräsentativer, sicherheitspolitischer und kultureller Hinsicht“ müssten von der rot-grünen Bundesregierung finanziert werden, sagte Faltlhauser. Er habe „kein Verständnis“ dafür, dass der Stadtstaat „die Hälfte der Kosten für die Museumsinsel tragen soll“. Diese sollte der Bund „komplett übernehmen“.

Die Diskussion um die Haushaltsmisere hat jetzt eine bundesweite Relevanz bekommen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) etwa lehnt weitere Berlinhilfe ab – Faltlhauser hingegen denkt wie der Haushaltsexperte der CDU-Bundestagsfraktion, Dietrich Austermann, strategisch. Ihr Kalkül: Sollte der Bund Berlin jetzt unter die Arme greifen, würde das die von der CDU geführte große Koalition stützen, die drohenden Neuwahlen und der Sturz Diepgens könnten so noch verhindert werden. Und die CDU könnte, wenn sie die Wahlen am 23. September in Hamburg gewinnt, die Mehrheit im Bundesrat übernehmen.

Aus solchen Überlegungen heraus lehnt auch die Bundes-SPD weitere Berlinhilfen zurzeit kategorisch ab. Sie will sich offenbar die Option eines Machtwechsels in der Hauptstadt offen halten. Schießlich weiß man auch im Willy-Brandt-Haus, dass Berlin nicht aus eigener Kraft aus der Finanzmisere herauskommen kann – die Steuereinnahmen machen nicht einmal die Hälfte des Landeshaushalts aus.

Die Koalitions- und Haushaltskrise der Stadt hat gestern zugleich den Ruf nach Neuwahlen verstärkt. Das Volksbegehren als Vorstufe einer Volksabstimmung über vorgezogene Neuwahlen kann nach Ansicht der PDS in den nächsten Tagen beginnen. Laut einer Meinungsumfrage des Emnid-Instituts im Auftrag des Spiegels will die Mehrheit der Berliner diese Neuwahlen. Diepgen muss sie fürchten. Die Umfrage ergab, dass sich nur noch 33 Prozent der Berliner den CDU-Politiker als Regierungschef wünschen.

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