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Die Theaterzukunft bin ich

Kampfansage und Nabelschau: Mit Nicolas Stemanns „Ich und Politik“ endete am Frankfurter TAT die Experimenta

Nüsschen gibt es, aber kein Bier. Das Publikum auf blauen Stühlen an gelben Tischen. Talk am Turm. Politiker sind noch keine da, kommen aber noch. Wer schon da ist, das sind wir selbst: Das Ich ist ein Hase. Und der sitzt menschengroß, dick, weiß und plüschig mitten auf den leeren Zuschauerpodesten, die heute die Bühne sind. Kaut an einer Mohrrübe – lautes Schmatzen, jede Bewegung, jede Darmregung hallt durch das ehemalige Straßenbahndepot.

Der Hase hält ein, lauscht, kaut wieder, ist sichtlich betroffen. Die Geräusche haben eindeutig mit ihm zu tun, sind aber zugleich nicht unmittelbar ihm zugehörig, kommen von außen. Das Ich, der alte Hase, als Teil des Systems. Befangen, Regeln unterworfen. Die uns beeinflussen. Aber wie wir sie beeinflussen können, das wissen wir so genau nicht. Vielleicht etwas zu viel Interpretation, diese Systemtheorie als Langohr-Fundament. Aber im Frankfurter Theater am Turm (TAT) wird zuweilen gern mit schweren Theoriegeschützen auf Spatzen geschossen. So auch bei der Premiere von Nicolas Stemanns „Ich und Politik“, mit der nun die Experimenta, das jugendlichere Parallelfestival zum Berliner Theatertreffen, zu Ende ging.

Wie kann politisches Engagement heute aussehen? Wie fächern sich die Modelle auf zwischen gewerkschaftlichem Klassenkampf aus grauer Vorzeit und den Politikerdarstellern der Gegenwart? Ein Dauerthema am TAT wie auch in den letzten Arbeiten Nicolas Stemanns. Und so holt er sie wie Puppen als Zeugen auf die Bühne: Friedrich Merz (Bettina Schneider), den Möchtegernrocker; Joschka Fischer zwischen Diät und Kosovo-Einsatz (Eckhard Winkhaus) – bekämpft von einer rechtschreibschwachen Meinhof-Tochter mit Mutterkomplex (Jenny Schily). Dazwischen ein Hase (Myriam Schröder) auf der Suche nach einer eigenen Überzeugung.

Aus dieser Politikbredouille scheint nur die FDP zu helfen, ideologiefrei, ich- und spaßbetont. Frohgemut verteilen die Westerwelles ihre Flyer unter blau und gelb herniederregnenden Luftballons. Dazu die Worte des Parteivorsitzenden als Gesang: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, ist einer, der die Sache regelt. Und das bin ich.“ Ein schöner Traum von prinzipienfreier Politik, von Engagement als Modeaccessoire. Doch wo bleibt da die Kapitalismuskritik? Die kommt heute nur noch von rechts. Behauptet – gleich fünffach – Horst Mahler, der Ex-RAF- und heutige NPD-Aktivist. Antworten für den Hasen in uns gibt es also keine, nur das Schreckgespenst des Rechtsradikalismus.

Eine etwas zu schnell gebastelte Politikrevue also, zwischen Lehrstück und Kabarett, zum Abschluss der Experimenta. Stellenweise vergnüglich zwar, aber – trotz mancher Bedeutungskeule – letztlich belanglos. Dabei hatte Stemann die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten des Individuums weit weniger platt bereits zur Festivaleröffnung mit seiner Hannoveraner Inszenierung des „Hamlet“ gestellt: als dieser erfahren musste, dass jede Suche nach einem eigenen Standpunkt sofort kolonialisiert und integriert wird. Nackt, mit dem Gesicht zur Wand stand der dänische Prinz – eine Geste der Selbstbehauptung, doch eingemeindet im nächsten Augenblick durch die Mächtigen, die sich verständnisvoll neben ihn stellten. Und sein Bild in ein Ihriges, in ein Kommune-1-Zitat verwandelten.

Zwischen diesen beiden Aufführungen gab es rund vier Wochen zahlreiche Versuche eigener Bilder, eigener Standpunkte. Ein Festival als Mischung aus PR-Coup, Kampfansage und Nabelschau derer, die längst auf ihren Schiffen selbst die Sache regeln, ob in Basel, am TAT oder an der Berliner Schaubühne. Flankiert von Generationsdebatten und allerlei pawlowschen Reflexen von Kritikern, Theatermachern und Festivalleitern zwischen kolonialisierendem Wohlwollen (siehe oben) und Warnung vorm Theaterselbstmord. Dazu Dementis: Kein Blatt passt zwischen Berlin und Frankfurt – was das bedeutet, weiß man aus der Politik.

Vergessen wir also das Generationsgerede – auch wenn es natürlich um Generationen geht. Weil es um veränderte ästhetische und philosophische Konzepte geht. Und auch weil es um Macht geht, um Einfluss, um Publikum, um Geld. Aber vergessen wir das Generationsgerede deshalb, weil es suggeriert, dass Experimenta automatisch progressives Theater bedeute. Das gab es. Aber es gab auch knochenkonservatives Sprechtheater mit ästhetischen Gegenwartsversatzstücken wie bei Ostermeiers „Gier“ oder Paulhofers „Rave“.

Denn das ist der eigentliche Konflikt – bei dem die „Alten“ längst keine Rolle mehr spielen: dass einige gar nicht nach neuen Formen suchen, sondern bestenfalls so tun. Dass andere (wie Stefan Bachmann mit Shakespeares „Sturm“ aus Basel, Falk Richter mit „In weiter Ferne“, aber auch die TAT-Regisseure Kühnel und Schuster) wohl suchen, aber manchmal nicht recht wissen, wo. Da gibt es dann überzeugende Momente, schöne und/oder schlaue Ideen. Aber der Atem reicht nicht aus für die ganze Inszenierung, die Motivation bleibt oft unklar.

Und dass eine dritte Gruppe sucht und eine Richtung hat: Stemanns „Hamlet“ gehört dazu, Luc Percevals viel diskutierter „Kirschgarten“ auch. Und vor allem Stefan Pucher, dessen „Möwe“ aus dem Deutschen Schauspielhaus nicht nur in seiner inneren Logik einem neuen Theater verpflichtet ist. Denn Pucher versucht nach Jahren des freien Performancetheaters keineswegs, das Stadttheater von innen zu entrümpeln. Er kommt von außen und kann ohne Sentimentalität nehmen, was ihm brauchbar erscheint. Kostjas Stück im Stück hat er als mögliches Manifesta-Manifest den Dramatiker Jens Roselt schreiben lassen. Es endet mit einem „Sie haben keine Wahl! Ich bin die Zukunft!“. Was für ein schönes, unfaires Schlusswort für diesen Generationenstreit. Und falls nicht: Für nächstes Jahr hat das TAT schon eine Fortsetzung des Festivals angekündigt. FLORIAN MALZACHER

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