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Baustelle voll poetischer Initialzündungen

■ „Die Abreisser“, Blaumeiers neuester Theater-Coup, verwandeln den Güterbahnhof in eine kreative Investitionsruine

Während in Bremens Innenstadt die „Aufreißer“ der BMG unterwegs sind, um für Baustellen-Sympathien zu werben, verschreiben sich die Blaumeiers in ihrer neuen Produktion dem Abreißen.

Abgerissen wird ein altes Kino, dessen Besitzer bankrott ist. Der neue Investor gefällt sich vor allem in der Rolle des Sprengmeisters, der seine Arbeitertrupps immer wieder in die ruinenhaften Reste des alten Lichtspielhauses einfallen lässt. Dort leben noch die alten Kino-Menschen, die inmitten von Schutt und Filmrollen ihren Erinnerungen nachhängen.

Dann das Wunder: Wie ein Deus ex machina entwindet sich Held „Ginger“ den Fetzen der alten Leinwand, wird von der Filmfiktion in die Realität der Abriss-Baustelle gespuckt – und lässt die Realitätsebenen zu einem neuen Ganzen verschmelzen. Ginger Franz Fendt: „Ich vermittle den Figuren poetische Initialzündungen, die sie in Bewegung versetzen.“ So können sich die Träume und Erinnerungen der Kartenabreißer, Platzanweiser, Filmvorführer und Süßigkeitenverkäufer zu neuen Handlungen verdichten – und dem Geschehen auf der Baustelle unerwartete Wendungen geben. Denn bevor der finale Sprengsatz zünden kann, werden ... – „Lauter Blech“ begleitet das Cineasten-Epos mit Live-Musik: Die Bläser bewegen sich dabei zwischen Winnetou und „Tea for two“, James Bond und „Bonny & Clyde“ und dergleichen Filmmelodien mehr.

Entstanden ist das Stück durch fortwährendes Improvisieren, zunächst mit dem Medium Sand. „Dadurch kamen wir auf eine Baustellen- und dann auf die Abbruch-Situation“, erzählt Regisseurin Barbara Weste, die das Stück gemeinsam mit Andrea Herbst inszeniert. Die Freiheit von einer Textvorlage, wie zuletzt beim Faust- oder Grindkopfprojekt, hat offenbar gut getan. Weste: „Es war faszinierend, die Tür mal von der anderen Seite her zu öffnen.“

Nach dem „Grindkopf“-Gang ins Schauspielhaus haben sich die Blaumeiers nun wieder einen etwas bröckeligeren Spielort gesucht: die ehemaligen Speditionshallen des alten Güterbahnhofs. Dass auch die von Abriss und Investorenwütigkeiten bedroht sind, ganz wie das theatrale Kino, ist vielleicht so etwas wie ein „struktureller Zufall“. Hier wie dort lädt die Brüchigkeit der Situation zu kreativen Ekstasen ein. Neben, hinter und vor den 20 SchauspielerInnen (wie immer in der bewährten Mischung von „irren Normalen“ und „normalen Irren“) haben noch 30 weitere Blaumeiers gewirbelt und neben Bühnenbild und Kostümen ein großartiges Foyer gestaltet.

Dort empfängt das Café „Zelluloid“ die Besucher, kunstvolle Plakate werben für „Fräulein Smillas Gespür für Tee“ und Dan Doghs Filmproduktion „Mal was anderes“. Also mal hingehen: Morgen Abend ist Premiere. HB

Aufführungstermine: 8. bis 10. und 14. bis 17. Juni jeweils um 20 Uhr im alten Güterbahnhof hinter dem Übersee-Museum.

Karten (20/28 Mark) gibt's unter anderem beim Buchladen im Ostertor und beim TSC unter Tel. 35 36 37

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