bratwurst, der letzte berliner von WIGLAF DROSTE:
Georg Gafron sieht aus wie eine Bratwurst, wie eine kleine Bratwurst mit Schnäuzer. Wenn Georg Gafron sagte, „Ich war eine Thüringer“, so löge er nicht: In den Achtzigerjahren wurde er von professionellen Schleppern, damals Fluchthelfer genannt, im Kofferraum eines Wagens von Weimar in den Westen geschleust. In Berlin wurde Gafron – nennen wir ihn ab sofort Bratwurst – rasch berüchtigt, als Chef des Durchhaltesenders 100,6 und als Frontmann des Provinzkanals TV Berlin. Seine gelegentlichen Kommentare in Bild wirken selbst in diesem Schlafsaal des Geistes noch besonders grottenschwarz und aggressiv runkeldunkel.
Seit Anfang des Jahres ist Bratwurst Chefredakteur der Boulevardzeitung B. Z. Das Amt übernahm er von Franz Josef Wagner, einem Wahnsinnigen mit Faible für Unterhosiges. Bratwurst frönt einem anderen Irrsinn: Er ist der letzte Vasall der abgewirtschafteten Berliner CDU. Schon den Rücktritt des CDU-Fraktionschefs Klaus-Rüdiger Landowsky wollte Bratwurst nicht wahrhaben, schwieg ihn tagelang aus seinem Blatt, beschwichtigte, beschönte und verbreitete penetranten Zwangsoptimismus. Bratwurst kämpfte gegen die Wirklichkeit, fiel damit in den Senftopf – und macht genauso weiter. „Diepgen rennt“ hieß Diepgens letzter Wahlkampf- Slogan, dumpfdreist gemopst bei Tom Twykers „Lola rennt“. Jetzt rennt Diepgen wirklich, aber Bratwurst, sein treuer Freund, hält sich Augen und Ohren zu.
Am 7. Juni gibt es folgende Schlagzeilen zu lesen: „Berlins große Koalition am Ende / Neuwahl im Herbst wahrscheinlich“ (Berliner Zeitung); „Berlins Koalition – der letzte Versuch“ (Der Tagesspiegel); „Diepgen kämpft um seinen Stuhl“ (Berliner Kurier); „Zerreißprobe für Große Koalition in Berlin“ (Die Welt); „Diepgen warnt die SPD: ‚Haushalt nicht instrumentalisieren‘“ (FAZ); „Koalitionsstreit in Berlin eskaliert“ (Süddeutsche Zeitung); „Berlin: Koalition begräbnisreif“ (taz); „Berliner Koalition ist geplatzt“ (Berliner Morgenpost), und Bild titelt: „Koalition am Ende“. Beinahe möchte man ein paar süffisante Überlegungen anstellen über die Pressefreiheit und über das, was die freie, pluralistische Presse aus ihr macht, aber dann gibt es ja noch Bratwurst und sein Blatt: „Katzen zu Rheuma-Decken verarbeitet“, schreit es fett von der B.Z. herunter am 7. Juni, „Berlin: Immer mehr Haustiere geklaut, getötet“. Ganz, ganz klitzeklein in der Ecke steht da auch noch: „Koalitions-Krise“, aber die ist gar nicht so schlümm: „Diepgen: Bei Neuwahlen trete ich noch mal an“, dröhnt es daher. Bratwurst weiß, was Rechte wünschen.
Seit Beginn seiner Amtszeit und vermutlich schon sein ganzes Leben lang ist Eberhard Diepgen umgeben von einer eberhardigen Aura des Provinziellen, Dösigen und Geisteslahmen. „Das Diepgen“ wurde der amtsklebrige Mann genannt und konnte sich schier ewig halten in dem Sumpf und Mief, von dem Berlin so viel hat. Diepgen ist, wie Landowsky, ein viel zu spät erledigter Fall. Einer aber wird die beiden immer hofieren: Georg Gafron, der Mann, den sie Bratwurst nannten.
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