Vogelscheuchen auf See

Riesige Windräder in Nord- und Ostsee sollen bis 2030 bereits die Hälfte des heute mit Atommeilern erzeugten Stroms ersetzen. Um Fische und Vögel möglichst wenig zu stören, ließ Trittin sein Naturschutzamt selbst geeignete Flächen suchen

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Das Verfahren ist ungewöhnlich: Nicht irgendein Bauträger, nicht das Bauministerium, nein, das Bundesamt für Naturschutz (BfN) höchstselbst macht sich auf die Suche nach Baugrund. Es geht um die größte Erschließung von Flächen für die Energieversorgung seit dem Braunkohletagebau im Ruhrgebiet. Gesucht wird eine Meeresfläche so groß wie das Saarland, Raum für 4.000 mächtige Windräder – Offshore-Windanlagen genannt, die dort bis 2030 entstehen sollen. Die Versuchung ist groß, es den Windmüllern leicht zu machen. Denn schließlich steht gegen mögliche Naturschäden die Aussicht, die Hälfte der Atommeiler durch Windkraft zu ersetzen. Nimmt man die Anlagen, die nach verhalten optimistischen Schätzungen des Deutschen Windenergie-Instituts (DEWI) bis 2030 an Land entstanden sind, hinzu, ist sogar mit drei Fünfteln der heutigen Atomstromproduktion zu rechnen. Um diesen „ökologischen Zielkonflikt zwischen Meeresschutz und Klimaschutz“ (Jürgen Trittin) zu lösen, ließ der Umweltminister das BfN vorsorglich nach Standorten Ausschau halten, damit es dem Naturschutz nicht schon wieder so ergehe, wie dem Igel beim sprichwörtlichen Wettlauf mit dem Hasen.

Zwei Standorte in der Nordsee hat das BfN nun vorgeschlagen: nordöstlich von Borkum und westlich von Sylt. Jeweils etwa 50 Kilometer vor der Küste. Zwei kleinere Flächen in der Ostsee werden noch geprüft: Eine wäre zwischen Fehmarn, Lübeck und Rostock inmitten der Mecklenburger Bucht und die andere auf halbem Weg zwischen Rügen und Bornholm. Dies geht aus dem Positionspapier „Windenergienutzung auf See“ hervor, das Trittin vorgestern der Presse vorstellte. Die Vorschläge seien eine „große Leistung“, wie Trittin gestern betonte, schließlich sei das BfN bislang gewohnt, bloß „Hier nicht!“ zu sagen.

Das dem BfN nicht ganz wohl dabei ist, offenbart das Positionspapier: Dort heißt es etwa, „dass hinsichtlich des Lebensraumanspruchs einiger Wanderfischarten, mariner Säugetiere sowie des Zuggeschehens von Land und Seevogelarten über der offenene Nord- und Ostsee noch erhebliche Kenntnisdefizite bestehen“. So ist unklar, wie Seevögel reagieren auf die mächtigen „Vogelscheuchen“, wie Naturschützer die Windräder nennen. Dies solle nun im Rahmen der Planfeststellung geklärt werden.

Die Hoffnungen auf Offshore-Windanlagen ist groß: Mittelständische Unternehmen wie Umweltkontor oder Winkra stehen in den Startlöchern. Denn die Standorte im Binnenland sind knapp, die Proteste gegen Landschaftsverschandelung groß und windreiche Standorte meist verplant. Auf See hingegen würden die Windräder zumindest Menschen kaum stören und 40 Prozent mehr Strom gewinnen als an Land.

Dafür sind die technischen Probleme erheblich: Denn die Windräder müssen bis zu 35 Meter tief verankert werden, Stürmen wie Salzwasser trotzen und der Strom über teure Seekabel transportiert werden. Eine neue Generation von Windrädern ist nötig, damit sich das rechnet: bis zu 160 Meter hoch und mit Leistungen von bis zu fünf Megawatt (bislang sind höchstens 1,5 üblich). Wem der Einstieg gelingt, der ist auf dem Weltmarkt bestens positioniert, denn Offshore-Windkraft gibt es bislang nicht in so rauer See wie 50 Kilometer vor der Nordseeküste. Kein Vergleich mit den einfachen Standorten etwa in Dänemark.

Bis 2003, 2004 sollen die ersten Windparks errichtet sein, sagt Trittin. Dabei gehe es zunächst um rund 40 Anlagen. Bis 2010 könnte dann noch einmal so viel Windkraftleistung auf See entstehen, wie bis heute an Land aufgestellt wurde.

Bislang sind die Eingriffe in die Natur außerhalb der 12-Seemeilen-Zone auch rechtlich kaum geregelt: Genehmigungsbehörde ist das dem Verkehrsministerium unterstehende Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH). Dort liegen bereits 15 Anträge vor, auch für Standorte außerhalb der vom BfN vorgeschlagenen Flächen. Doch diesmal scheint es nicht zum Konflikt zwischen Verkehrs- und Umweltbehörden zu kommen, man ist im Seeamt sogar froh über die Unterstützung: „Es gibt keine Frontenbildung zwischen uns und dem Umweltministerium“, sagt BSH-Justiziar Rolf von Ostrowski. „Und ich erwarte das auch nicht.“