: Diepgen ausregiert
Erst stürzte sein Vertrauter Landowsky, dann konnte sich der Regierungschef selbst nicht mehr halten
aus Berlin ROBIN ALEXANDER
Blass sieht er schon seit Tagen und Wochen aus, jetzt wirkte Eberhard Diepgen tatsächlich angeschlagen. So etwas kennt der dienstälteste LandeschefDeutschlands und geborene Berliner, der in seiner Stadt schon Mauerbau, Mauerfall, Vereinigung und überhaupt alles erlebt und überstanden hat, doch noch nicht.
„Die SPD plant die Zusammenarbeit mit der PDS“, erklärte Diepgen Mittwochnacht vor der feudalen Senatsvilla im Grunewald. So trocken kann man es auch sagen. Die seit der Wendezeit bestehende große Koaltion ist seit Mittwochmitternacht endgültig am Ende. Seit der Geisterstunde droht der Hauptstadt-Union tatsächlich, was sie seit Jahren als Gespenst umgehen sieht: Eine linke Mehrheit inklusive PDS stellt den Regierenden Bürgermeister.
Die SPD-Spitzen zeigten sich gestern fest entschlossen: Der Machtwechsel soll über Neuwahlen erfolgen. „Die Politik braucht ein neues Mandat, um diese schwerste Krise in Berlin seit der Wiedervereinigung zu bewältigen“, heißt dafür die Formel von SPD-Landeschef Peter Strieder. Die Sozialdemokraten haben auch einen Wunschfahrplan zu Neuwahlen: Am Sonntag beschließt ein SPD-Sonderparteitag formell das Ende der großen Koalition, das Abgeordnetenhaus löst sich auf einer Sondersitzung Ende Juli/Anfang August auf. Das hieße: Neuwahlen im September.
Das will Diepgen allerdings verhindern. Zwar sprach auch er sich gestern für Neuwahlen aus. Sein Zeitplan aber sieht anders aus: Selbstauflösung des Parlaments nach der Sommerpause im September, Neuwahlen dann später im Herbst.
Auf keinen Fall will die SPD ihre Senatoren aus Diepgens Senat zurückziehen, seinen Nachtragshaushalt aber auch keinesfalls mitverantworten. Wenn die Sparvorlage des Finanzsenators, die Diepgen am Dienstag im Senat verabschiedet, ins Abgeordnetenhaus kommt, wird die SPD gemeinsam mit PDS und Grünen dagegen stimmen.
Die Bedenken gegen eine Zusammenarbeit mit der Nachfolgepartei der SED sind zumindest in der Führungsspitze endgültig verflogen. Selbst Schulsenator Klaus Böger, bisher ein erklärter Skeptiker jeder rot-roten Annäherung gegenüber, nahm seine Vorbehalte gestern zurück: „Auch die boshaftesten Kritiker werden nicht behaupten, die PDS habe die Bankenkrise ausgelöst.“ Wer für die PDS-Sozialisten Regierunsverantwortung übernehmen könne, wurde en passant ebenfalls von Böger mitgeteilt: Harald Wolf, der PDS-Fraktionschef, habe doch „interessante und bemerkenswerte Vorschläge zur Konsolidierung des Landeshaushalts gemacht“.
Sie tun es also tatsächlich: Zwölf Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR wagt die Sozialdemokratie eine Zusammenarbeit mit der PDS in der früheren Frontstadt Westberlin und der früheren Hauptstadt der DDR. Diepgen blieben gestern nur ätzende Kommentare: „Es wäre nur konsequent, wenn die SPD Neuwahlen am 13. August, dem 40. Jahrestag des Mauerbaus anstreben würde.“ Der Regierende auf Abruf wirkte gestern, als könnte er es immer noch nicht glauben.
Dabei hat die Erosion seiner Macht schon vor Monaten begonnen. Ausgerechnet der engste Diepgen-Vertraute von allen, Klaus Landowksky, bugsierte die Berliner Hyp in die Suchscheinwerfer der Öffentlichkeit und der Bankenaufsicht. Diepgen konnte die Kontrolle über die Ereignisse nicht wieder zurückgewinnen. Den größte Bankenskandal der Nachkriegsgeschichte, der die Konsolidierung der Berliner Finanzen und jedes Vertrauen in den amtierenden Senat atomisierte, bekam Diepgen nie in den Griff.
Der Routinier hatte plötzlich nicht nur einen Haufen neuer Probleme, deren Dimension er unterschätzte, sondern auch einen neuen Gegner: Klaus Wowereit, ein kommunikativer Dauerlächler, dem man seine 47 Lebensjahre und die zehn qualvollen Jahre, die seine Partei im CDU-geführten Senat litt, nicht ansieht. Wowereit selbst hat kein Regierungsamt und pappt nicht im sprichwörtlichen Berlin-Filz. Obwohl an der Spree geboren, kann er Neuwahlen mit dem Slogan angehen: There’s a new kid in town.
Als Fraktionschef im Abgeordnetenhaus schaffte Wowereit, woran seine SPD seit der Wende immer wieder gescheitert war: Er nahm Eberhard Diepgen die politische Initiative. Plötzlich ist es die SPD, die Bedingungen stellt und Klaus Landowsky aus seinen Schaltstellen in die Regeneration nach Mallorca trieb. Spätestens seither ist der smarte Wowereit für die Union ein rotes Tuch.
„Der hat in den Koalitionsverhandlungen doch noch nicht einmal einen Notizblock herausgenommen“, lästerte CDU-Fraktionsvorsitzender Frank Steffel. Wowereit wolle auf jeden Fall den Bruch. Tatsächlich verweigerten die Sozialdemokraten Mittwochnacht im Koalitionsausschuss vier Stunden lang jede Debatte um konkrete Sparvorschläge und wehrten damit Eberhard Diepgens letzten verzweifelten Versuch ab, vom Gejagten Wowereits wieder zum Jäger zu werden.
Am Vortag hatte Diepgen noch ein Konzept aus dem Hut gezaubert, wie Berlins Finanzen konsolidiert werden können. 700 Millionen Mark in 50 Punkten auf fünf Din-A4 Seiten. Mehr ein Thesenpapier als ein Sanierungskonzept, wenige Stunden vor dem entscheidenden Treffen von Diepgen mit den Worten präsentiert: „Die Haushaltspolitik soll zum Instrument der Auflösung der Koalition gemacht werden. Niemand wird sagen können, es hätte so kein Sparkonzept gegeben.“ Schon zu diesem Zeitpunkt ging es nicht mehr um die Koalition, sondern nur noch um die Frage, wer Schuld an ihrem Ende hat.
Bei der Klärung der Schuldfrage geht es auch um die richtigen Bilder: Demonstrativ zornig stieg SPD-Chef Strieder aus seinem dunklen Audi und schimpfte in jede erreichbare Kamera und jedes Mikrophon: Die Sitten seien völlig „verlottert“: „Der Regierende Bürgermeister hat sich nicht wie der Regierende Bürgermeister verhalten“, wettert er. Ein denkbar schlechter Start schon für den Koalitionsausschuss, den Strieder zur entscheidenden Stunde erklärt: „Die Koalition muss hier und heute ihre Handlungsfähigkeit beweisen. Sonst hat sie ihre Legitimation ver$loren.“
Eine Zeitlang ließen die SPD-Leute ihren Unionspartner Mittwochnacht noch ein paar Illusionen über die Fortdauer des Bündnisses. Zwei quälend lange Stunden berieten Wowereit, Strieder und Böger untereinander. Würden sie doch auf Diepgens Grundlage über konkrete Sparvorschläge verhandeln? Einen Köder hatte der alte Trapper Diepgen ausgelegt: „Heilige Kühe der Union“ wie die Kanzler-U-Bahn standen plötzlich auf der eigenen Streichliste. Bei der Union keimte Hoffnung. Diepgen und die Seinen trugen einen Kasten Bier zu den wartenden Journalisten, streuten Gerüchte und wurden von Minute zu Minute jovialer. Doch die Zeiten sind vorbei, wo Bauernschläue reichte, um sichere Fallen für die Berliner SPD auszulegen. Geschlossen und wortkarg kamen die Sozialdemokraten aus ihrer Klausur, verließen die Koalitionsausschuss. Strieder und Böger wirkten beinahe zerknirscht, doch Klaus Wowereit lächelte bereits im Stil eines siegesgewissen Wahlkämpfers.
Im Wahlkampf können sich die Berliner und die Republik auf einiges gefasst machen. „Der Wahlkampf wird die Brüche vertiefen zwischen Ost und West, die in dieser Stadt immer noch bestehen“, sorgte sich Diepgen gestern. „Es wird um die Frage gehen: Wollen wir eine Stadtregierung unter Einschluss der SED?“, tönte Christoph Stölzl (CDU) schon, als der Koalitionsausschuss noch tagte.
Der Kultursenator beschrieb die Lage mit Shakespeare. In jedem Königsdrama gebe es einen Schurken, der dem Spiel mit der Macht nicht widerstehen könne. In Berlin heiße er Wowereit. An den Kopf von Eberhard dem Ewigen kommt man nur mit Unterstützung der PDS. Machtgier also, nicht die gescheiterte Finanzpolitik sprenge die Koalition: „In Bayern hätte diese Bankenkrise zu einer Klausurtagung am Starnberger See geführt – und sonst zu gar nichts.“ Vor Neuwahlen „in der deutschen Schicksalstadt Berlin“ sei niemandem in der CDU bange, so Stölzl: „Die Emotionen sind hier sehr leicht zu mobilisieren.“ Vielleicht bekomme der alte linke Spruch „Wer hat uns verraten/ Sozialdemokraten“ ja einen neuen, ganz anderen Sinn.
Mit dem Schreckgespenst von Volksfront und Bolschewismus wird die CDU also in die kommenden Auseinanderetzungen gehen. Aber mit welchem Spitzenkandidaten?
Auch gestern auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz legte sich Diepgen nicht fest, ob er erneut antreten wolle: „Ich habe gestern gesagt, ich halte mir das offen, ich sage heute nicht mehr und nicht weniger.“ Den Eindruck, eine Ära gehe zu Ende, vertreibt man so nicht.
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