: Irritainment im Panoptikum
Gehören noch lange nicht ins Wachsfigurenkabinett: Madonna HipHop Massaker geben auf ihrem neuen Album, „Heavy Rotation“, verstärkt Zeitloses, nicht das schnelle Popnümmerchen für zwischendurch. Ob ihnen das endlich Fans einbringen wird? Die Band meint: Wohl eher nein
Es waren einmal drei Menschen, die wollten Popstars werden. Also gründeten sie eine Band, schmissen sich in Fummel, schrieben Pop in Großbuchstaben, kreischten laut „Party!“ und nannten sich Madonna HipHop Massaker.
Sieben Jahre nach seiner Gründung bringt das Berliner Trio dieser Tage sein drittes Album, „Heavy Rotation“, heraus. Aber: Trotz des Titels kein Einsatz für die Single „Big Mistake“ in der Heavy Rotation der Musiksender, kein Charteinstieg von null auf eins. Den Popstars fehlt zum Popstardasein ein kleines, aber unverzichtbares Detail: die entsprechende Zahl der ihnen zujubelnden Fans. Da ist wohl was schief gelaufen. Aber was, Miss Megatrance? „Keine Ahnung“, sagt die Sängerin und überzeugte Perückenträgerin, „aber darin steckt doch nichts Tragisches.“ Mancher mag das anders sehen, aber wahrscheinlich ist alles nur eine Frage der Definition. Schließlich ist die berühmte Viertelstunde Berühmtheit längst schon kein popkulturelles Spielchen mehr, sondern Mainstream geworden. In der „Big Brother“-Gesellschaft ist auch das Musikgeschäft eine Real-Life-Soap und sind die No Angels tatsächlich „Popstars“, wie es im Serientitel versprochen worden war.
Wird eine Idee wie Madonna HipHop Massaker da nicht obsolet? Das Video zur aktuellen Single, „Big Mistake“, scheint diese Frage zu bejahen. Da werden aus Schaufensterpuppen schließlich die Popstars Madonna HipHop Massaker, die aber sofort in neue Starre fallen und mit der Schubkarre ins Wachsfigurenkabinett gefahren werden. Miss Megatrance sieht das kleine Filmchen aber trotz des musealen Endes ihrer Band „nicht als Abgesang, sondern eher selbstironisch“.
Um das Konzept ihrer Band zu beschreiben, das noch lange nicht reif fürs Pop-Panoptikum sei, recycelt sie den Begriff „Irritainment“, der einst vom legendären Kitsch-Kunst-Kneipen-Projekt Schmalzwald im Prater geprägt wurde. Aber kann man heutzutage wirklich noch irritieren, die Mechanismen des Musikgeschäfts hinterfragen, indem man „ein Spiel betreibt zwischen Künstlichkeit und Authentizität“ und „Selbstinszenierung zum Thema macht“? Die Antwort auf diese Frage ist auch innerhalb der Band selbst umstritten. Bassist Rob Zoom war „erschrocken, als nur unser Image Thema war und dass man uns nur übers Konzept kennen gelernt hat“. Und Gitarrist Kingo sieht das neue Album gar als „Übergangsplatte“, definiert das Popstardasein als „den inneren Schweinehund überwinden“ und legt Wert darauf, „dass wir seit 10 Jahren zusammen sind“.
Tatsächlich ist „Heavy Rotation“ herzlich unentschieden. In einem Song wie „Actors & Directors“ beleben Madonna HipHop Massaker die Klischees von schnellem Ruhm und Party um jeden Preis wieder, die ihre ersten beiden Platten thematisierten. Andere Tracks wiederum sind in Tempo und Ausdruck ungewohnt zurückgenommen und vom alten Eklektizismus weit entfernt. Zeitloses soll hier erklingen, nicht die schnelle Popnummer zwischendurch.
Eine nicht unwesentliche Wandlung. „Wir haben ja gerne so getan“, gibt Miss Megatrance zu, „als wären wir superclever und durchschauten das Geschäft.“ Tatsächlich schlug aber das Imperium zurück: Die Musikjournaille mochte Madonna HipHop Massaker nicht, weil sie ein ungeschriebenes Gesetz verletzten: Versuch niemals schlauer zu sein als dein Kritiker! Nun stecken sie dafür in einem neuen Dilemma: Ihre neu gewonnene Rock-Naivität dürfte die alten Fans verschrecken, neues Publikum aber könnte weiter Kalkül vermuten.
Oder ist alles ganz anders: Passen Madonna HipHop Massaker nicht seltsam genau ins aktuelle Revival? Hat ihre spekulative Mischung aus catchy Melodien und aufdringlichen Plastikbeats nicht eine unheimliche Ähnlichkeit mit dem Zerrbild der Achtzigerjahre, das uns momentan als modern verkauft wird, ganz abgesehen davon, dass ein Großteil der Texte sich mit dem Leben in Filmen, Jetset oder eben Magazinen beschäftigt? Exakt die Themen also, die Zoot Woman erfolgreich mit flachen Synthie-Klängen ausstaffieren.
So gesehen hat Herr Zoom schon Recht: Die Halbwertszeiten im Popgeschäft werden immer kürzer. So schnell wie heute konnte man noch nie zum Dinosaurier werden. Aber wer weiß: Selbst Sigue Sigue Sputnik sollen unlängst wieder gesichtet worden sein. Wenn die noch mal den Staub aus den alten Frisuren geklopft kriegen, dürften auch Madonna HipHop Massaker eine zweite Chance verdient haben.
THOMAS WINKLER
Madonna HipHop Massaker: „Heavy Rotation“ (Potential Allstars/BMG Berlin). Die Band spielt live am Samstag, dem 9. 6., im Lindenpark in Potsdam.
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