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Wie ein Rudel Wölfe

Ein Theoretiker des Bösen: Die Bücher des großen Erzählers Aleksandar Tišma machten seine Heimatstadt Novi Sad weltberühmt. Sie handeln von Hoffnungslosigkeit, Menschenfeindschaft und Gewalt gegen Frauen. Nun ist ein neuer Band mit Erzählungen erschienen – „Ohne einen Schrei“

von HELMUT HÖGE

Schon seit langem wollte ich eine Geschichte schreiben, die „WPP“ heißen soll: „Wölfe, Partisanen und Prostituierte“. Die drei haben viel gemeinsam. Nicht nur standen und stehen sie außerhalb des Gesetzes, sie lösten einander auch quasi ab: So wurden die einstigen Wolfspfade in den riesigen Wäldern Osteuropas später von Partisanen benutzt und nun von Schlepperbanden, die vor allem junge Frauen über die Grenzen schmuggeln, damit sie im Westen als Prostituierte arbeiten.

Der ehemalige englische Geheimdienstoffizier Norman Lewis erwähnt in seinem Tagebuch „Neapel 1944“ einen Plan, Prostituierte als Partisanen einzusetzen. Während im Süden Italiens die Geschlechtskrankheiten nach der Landung der Alliierten „einen nie dagewesenen Grad“ erreichten, blieb der von Deutschen beherrschte Norden davon weitgehend verschont, die Deutschen überwachten alle Bordelle streng medizinisch. Der alliierte Plan sah nun vor, in einem ersten Schub zwanzig infizierte neapolitanische Prostituierte im Norden einzuschleusen, „um die Kampfkraft der deutschen Armee zu schwächen“, wie Norman Lewis schreibt.

Ich erwähne diesen bösen Plan hier nur, weil er Aleksandar Tišma sicher gefallen hätte. Als ich auf dessen bisher auf Deutsch erschienene sieben Bücher stieß, merkte ich, dass er mein Projekt „WPP“ bereits voll verwirklicht hatte. Nicht nur kommen in all seinen Werken Wölfe, Partisanen und Prostituierte vor, man kann seine bisherigen Romane und Erzählungen sogar auf diese drei Begriffe – W, P und P – reduzieren.

Der Autor wurde 1924 in Novi Sad geboren, dort lebt er noch heute. Seine Mutter war eine ungarische Jüdin, sein Vater ein serbischer Kaufmann. Nachdem die mit den Deutschen verbündeten Ungarn die Vojvodina besetzt hatten und anfingen, Jagd auf Juden und Slawen zu machen, wich der damals 18-jährige Aleksandar Tišma nach Budapest aus. 1944 wurde er in ein Arbeitslager nach Transsylvanien deportiert, wo er Schützengräben gegen die Rote Armee aushob. Es gelang ihm dann, sich wieder nach Novi Sad durchzuschlagen, wo er sich der inzwischen zur jugoslawischen Befreiungsarmee umformierten Partisanenbewegung anschloss – als Musiker. Da er jedoch kein Instrument spielen konnte, musste er das Partisanenorchester bald wieder verlassen, stattdessen setzte man ihn als Briefzensor ein.

Über einen Bekannten bekam er schließlich eine Anstellung als Journalist. 1956 erschien sein erstes Buch – eine Gedichtsammlung. Seitdem schreibt Tišma in seinen Werken gegen den staatlichen Partisanenmythos an und hat eine Schwäche für die unsozialistischen Prostituierten. Alle seine Bücher sind darüber hinaus voll von Biographemen. Am autobiografischsten dürfte sein 1972 erschienener Roman „Das Buch Blam“ sein, das zugleich eine Geschichte der zerstörten Judengasse seiner Heimatstadt ist, wie überhaupt Novi Sad dank Tišma inzwischen Weltberühmtheit erlangt hat.

Soeben erschien im Hanser Verlag noch ein Band mit Erzählungen von ihm: „Ohne einen Schrei“. In allen neun Geschichten geht es um Gewalt – vornehmlich gegen Frauen. Es sind grausame Geschichten – voller Axthiebe, Vergewaltigungen und amoralischer Monologe. Obwohl schon 1980 in Belgrad veröffentlicht, liest man sie jetzt vor dem Hintergrund der jugoslawischen Nationalitätenkriege, insbesondere in Bosnien, wo 1992 serbische Soldaten und Milizangehörige laut eines UN-Berichts schätzungsweise 20.000 Frauen, die meisten muslimischen Glaubens, vergewaltigten, folterten und als Sklavinnen verkauften. 40 von ihnen, die später auch als Zeugen vor dem internationalen Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag auftraten, veröffentlichten darüber 1999 einen Bericht: „Ich habe sie angefleht, mich zu töten.“ Aufgrund ihrer Zeugenaussagen wurden am 22. Februar dieses Jahres in Den Haag drei Männer zu Haftstrafen zwischen 12 und 28 Jahren verurteilt: Sie hatten ihre muslimischen Gefangenen in der „Partizan“-Sporthalle von Foča konzentriert. Die in Den Haag angeklagten Männer waren zu jung, um während des Zweiten Weltkriegs Partisanen gewesen zu sein. Tišma würde sie wohl als Wölfe – Bestien in Menschengestalt – charakterisieren. In vielen seiner Geschichten geht es um ganz ähnlich verrohte Männer, die nach dem Krieg – als ehemalige Partisanen – nicht mehr ins zivile Leben zurückfanden. Insbesondere trifft das auf seinen 1993 veröffentlichten Roman „Treue und Verrat“ zu.

In dem vier Jahre später veröffentlichten Buch „Kapo“ ist der Wolf sogar ein jüdischer Auschwitz-Häftling, der es mit der angenommenen Identität eines umgekommenen kommunistischen Gefangenen zum Leiter einer Lagerwerkstatt gebracht hat, wo er sich ein Privatbordell einrichtete. Nach dem Krieg macht er sich in Zagreb auf die Suche nach einer jüdischen Mitgefangenen, die er gezwungen hatte, ihm im KZ zu Willen zu sein. Tišma geht beim Erzählen dieser Geschichte immer wieder von der dritten Person in die Ich-Form über. An einer Stelle schreibt er: „Er war einmal Kapo gewesen und es im Grunde seines Wesens geblieben, jenem verdorbenen Grund, der sich an das Böse gewöhnt und es als Gesetz angenommen hatte.“

Diesen Gedanken hat Tišma 1980 von der anderen Seite her ausgelotet – in seinem Roman „Der Gebrauch des Menschen“, in dem es unter anderem um eine Jüdin aus Novi Sad geht, die im KZ als Prostituierte für die SS arbeiten musste. Dazu hatte man ihr das Wort „Feldhure“ über die Brust tätowiert. Nach der Befreiung vermochte auch sie nicht mehr in die Normalität zurückzufinden – und wurde erneut Prostituierte, diesmal gewissermaßen freiwillig. An einer Stelle heißt es: „Wie ein Rudel Wölfe, die einander Zeichen geben, wenn sie in der Nähe ist, oder ein unsichtbares Zeichen von ihr, einen Geruch aufnehmen, rennen sie hinter ihr her, bieten sich knurrend und zähnefletschend an, ihre Männlichkeit an ihr zu erproben. Diese Hetzjagd ermüdet sie bereits, sie fühlt, dass sie bald erliegen wird . . .“

Alles erotische Verlangen ist von Hass erfüllt – oder umgekehrt. Das einzige Buch, in dem Tišma so etwas wie Menschenliebe aufkommen lässt, ist sein Roman über die Prostituierten und Gelegenheitshuren von Novi Sad – mit dem bekennerischen Titel: „Die wir lieben“ (1990). Ansonsten sagt er selbst – in einem Interview: „Schließlich sind wir böse geboren. Der Mensch ist von Natur aus schlecht. Enttäuscht bin ich aber vor allem wegen seiner unglaublichen Dummheit, die ihn dazu verführt, das Leben so traurig zu gestalten und andere zu unterjochen und zu töten.“

Seine diesbezüglich grauenhafteste Geschichte „Die Schule der Gottlosigkeit“ (1978) handelt von einem Geheimpolizisten, der die Verhafteten gewissenhaft zu Tode foltert und sich gleichzeitig um sein krankes Kind zu Hause sorgt. An einem ähnlichen Psychogramm hatte sich zuvor bereits der weißrussische Partisanenschriftsteller Ales Adamowitsch in seinem Buch „Henkersknechte“ versucht. Es basiert auf ausführlichen Verhörprotokolle, war jedoch nicht halb so schrecklich zu lesen wie diese „Fiction“ von Tišma.

Schon die ausufernde Partisanenliteratur der jugoslawischen Nachkriegszeit strotzte vor Grausamkeit und Gewalttätigkeit – nicht selten sogar mit einem gewissen Stolz verbunden (das durchgestanden zu haben). Weil sie die Deutschen besiegt hatten und nun allesamt plötzlich zu der Machtelite zählten, waren ihre Romane jedoch mitnichten sozialkritisch, so wie zur gleichen Zeit die Partisanenliteraturen in Frankreich und Italien, die sich dort zum Existenzialismus auswuchsen.

Etwas Vergleichbares entstand in Jugoslawien erst nach der nationalistischen Zerschlagung der neomarxistischen Studentenbewegung von 1968 – im Film. Die offizielle Kritik sprach hierbei abschätzig von einer schwarzen Welle – der man bald mit einer aufbauenden roten Welle entgegentrat. Einige der sozialkritischen Regisseure holte sich dann Hollywood: Dusan Makavejev und Aleksandar Petrovic beispielsweise. Umgekehrt holten sich die jugoslawischen Staatsregisseure der „roten Welle“ für ihre großen Partisanenfilme Hollywoodstars – wie Yul Brynner, Orson Welles und Richard Burton (als Tito). Auch der weiße Marschall selbst suchte bald die Nähe der Stars – Liz Taylor und Sophia Loren lud er auf seine Adria-Insel ein.

Die Bücher von Aleksandar Tišma könnte man als Fortsetzung der „schwarzen Welle“ bezeichnen. Wobei es jedoch nicht mehr darum geht, die revolutionär-humanistischen Träume endlich zu verwirklichen. Insofern lässt sich hierbei von einem Neoexistenzialismus ohne Hoffnung sprechen.Wenn man mehrere Geschichten von Tišma hintereinander liest, bekommt man Albträume – und Hass auf den Autor, als einen menschenfeindlichen alten Hurenbock. Dass die Literaturkritik ihn inzwischen zu den „ganz großen Erzählern dieses Jahrhunderts“ rechnet, zeigt, dass die Hoffnungslosigkeit nicht auf Jugoslawien beschränkt ist. Aber im sozialistischen Lager scheint doch der Absturz, die Desillusionierung, größer als im Westen zu sein.

Anlässlich einer Poetikvorlesung in Tübingen schlug Tišma 1998 übrigens den Hörern einen Schreibwettbewerb zum Thema „Macht und Frauen“ vor. Der Seminarchronist Jürgen Wertheimer merkte dazu an: „Ein Teil des Auditoriums reagierte mit wissend verständnisvollem, leicht irritiertem und etwas verschämten Lächeln – so als hätte man von ihm nichts anderes erwartet und sei nun dennoch von der Direktheit der Formulierung überrascht.“ Die aus dem Wettbewerb hervorgegangenen Texte wurden anschließend von Tišma im Tübinger Konkursbuchverlag herausgegeben.

Aleksandar Tišma: „Ohne einen Schrei“. Aus dem Serbischen von Barbara Antkowiak. Hanser Verlag, München 2001, 232 Seiten, 39,80 DM

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