: Unterwasser-Selbstzerfleischung live
■ Krankhaftigkeiten, vielleicht noch nicht mal überzeichnet: Falk Richter gastierte mit „Die Nacht singt ihre Lieder“ des Norwegers Jon Fosse im Schauspielhaus-Malersaal
Warum interessiert uns einer wie Jon Fosse? Warum begeistert die deutschsprachigen RegisseurInnen der im norwegischen Bergen lebende 41jährige Dramatiker, der in seiner Heimat nicht halb so bekannt ist wie hier? Ist es die Kargheit seiner Sprache, die jetzt auch Falk Richter in Zürich Die Nacht singt ihre Lieder inszenieren ließ, als Gastspiel jetzt im Schauspielhaus-Malersaal zu sehen? Ist es der karg-epische Singsang, der für ÜbersetzerInnen und SchauspielerInnen gleichermaßen Versuchung ist? Oder die Unbarmherzigkeit, mit der der Autor den Figuren auch noch das letzte Quäntchen Sprache nimmt?
An genau dieser sprachlichen Mangelernährung nämlich arbeiten sich Fosses Figuren stetig ab, in Die Nacht singt ihre Lieder so intensiv wie in Das Kind, das Ende 2000 am Thalia in der Gaußstraße von Michael Talke inszeniert wurde. In Fosses Vokabel-Mustern, die immergleiche Bordüren weben, können sich allerdings auch Regisseure verfangen, wenn sie – wie Falk Richter – dem Schweigewert der Pausen nicht trauen.
Worum geht's im Stück: Frau, Freund und Baby leben in reagenzglas-karger Souterrain-Wohnung. Vielleicht spielt alles in einem Aquarium, in das das Publikum mit eintaucht, um eine In-Vitro-Selbstzerfleischung mitzuerleben: Mit dem Schweigen des Mannes, der stetig auf dem Sofa lümmelt, hadert die Frau, die abends heimlich zu ihrem Geliebten flüchtet. Ewig bleibt sie weg, ewig dauert später das häusliche Verhör. Tragisch endet alles, weil sie ausziehen will, dann aber so lange mit dem herbeigeholten Geliebten diskutiert, bis sich ihr Freund erschossen hat.
Karg hat Richter seine Inszenierung angelegt, geschickte, die Leerräume betonende Choreographie unter die Sprache geschoben, deren Sequenzen sich spiralförmig-seriell wiederholen. Jedoch – Richter hat Fosses Pausen nicht getraut: Mit Pulsschlag-Elektronik-Klängen hat er das Warten des Eifersüchtigen unterlegt, um das Nachtstück zum „Event“ zu machen. Das Resultat: eine krimi-seichte Stille-Überwindung, die Thalia-Regisseur Talke, der die Inszenierung hier schweigen, aber nicht stagnieren ließ, besser gelang. Leicht exzentrisch ist bei Richter auch die junge Frau (Judith Engel) geraten, krankhaft selbstmitleidig ihr Freund (Sebastian Rudolph): Eine Eifersucht, die ihre Ursachen selbst produziert, kultiviert der junge Mann, der nur im Verhör aufblüht und unmotiviert die ständige Präsenz der Frau einfordert.
Und doch scheinen die Figuren in einem stabilen System zu agieren, das nicht ohne weiteres veränderbar ist: Sie halte es nicht mehr aus, sagt die Frau, packen und gehen will sie auf der Stelle. Aber irgendwas hält sie auf, als der Abgang möglich ist: „Ich kann nicht weg von den Sachen“, sagt sie zum Geliebten, „er war doch immer gut zu mir“, sentimentalt sie plötzlich. Und steht der Tatsache, dass „im Leben immer Sachen passieren, die man noch nicht kennt“, hilf- und fassungslos gegenüber: Banal und ironisch intoniert Fosse hier – eine Nuance, die die Figuren süffisant ins Spiel transponieren, ohne dass das ihre Froschperspektive ändert. Und so zappelt das Pärchen immer wieder im eigenen Netz: nicht ausbrechen zu können aus alten Verhaltensmustern, bis an den Grat zu gehen, aber nicht über den eigenen Schatten springen zu können. Geschickt inszenierter Stillstand auf der ganzen Linie also.
Und doch fragt man sich bei aller Begeisterung über den geschickt drechselnden Fosse, ob man vor lauter Wiedererkennungsfreude nicht eine Nuance ausgeblendet hat, die das norwegische Original vom kontinentalen Publikum trennt: dass Fosse nämlich keineswegs überzeichnet, sondern zur Norm gewordene Manien der norwegischen Gesellschaft spiegelt. Und dass all dies, als Karikatur wahrgenommen, eher zufällig auf den deutschsprachigen Raum übertragbar ist. Petra Schellen
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