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Überall schwarze Schafe

Der Giro d’Italia 2001 wird als Skandalrennen in die Annalen eingehen, die Branche aber versucht das standhaft zu ignorieren. Schließlich gehe es auch anderswo nicht immer mit rechten Dingen zu

aus Mailand SEBASTIAN MOLL

Gilberto Simoni hatte offensichtlich etwas zu beweisen. 40 Kilometer vor dem Ziel der vorletzten Etappe des Giro d’Italia stürmte der Trentiner seinen Konkurrenten davon und gewann mit zweieinhalb Minuten Vorsprung. In den Tagen zuvor war Simoni zweimal die Gelegenheit genommen worden, seinen Giro-Sieg sportlich zu legitimieren: Am vergangenen Donnerstag hatte er bei der zweiten Königsetappe durch die Alpen seinen dünnen Vorsprung von 15 Sekunden auf Dario Frigo zu einem deutlicheren Ergebnis machen wollen. Doch die Fahrer beschlossen aus Empörung über die Dopingrazzia in der Nacht zuvor, nicht anzutreten. Nur einen Tag später wurde Frigo vom Sportlichen Leiter seiner Mannschaft, Giancarlo Ferretti, nach Hause geschickt. Frigo war den Fahndern der Staatsanwaltschaft von Florenz ins Netz gegangen.

„Ich hatte einen tollen Tag am Pordoi, als ich das Maglia Rosa übernommen habe“, kommentiert Simoni seinen Alleingang am Lago Maggiore, „aber das hat mir nicht gereicht, um mich wirklich als Sieger zu fühlen.“ Das, fügte er zufrieden hinzu, könne er erst jetzt, nach dem deutlichen Sieg auf der vorletzten Etappe, getrost tun. Und von den Vorgängen der vorangegangenen Tage werde er sich seine Freude auch nicht trüben lassen: „Es wird für mich immer der Giro bleiben, den ich gewonnen habe, und nicht der Doping-Giro“, gab Simoni zu Protokoll.

Eine derart hartnäckige Betriebsblindheit ist so branchenüblich wie verblüffend. Bei vier Fahrern neben Frigo haben die Carabinieri unerlaubte Substanzen entdeckt, gestern meldete die italienische Presse zudem, dass bei 70 weiteren Fahrern aus dem 143 Mann zählenden Feld Mittel gefunden wurden, die bei den Dopingtests der Radsportverbände nicht nachweisbar seien, darunter wohl auch ein neues Wundermittel. Giancarlo Ferretti bot Dario Frigo eine Wiedereinstellung an – falls er seine Lieferanten preisgebe und somit Hinweise auf die Kanäle liefere, durch die das neue Mittel im Peloton verbreitet wird.

Mit einem alten Mittel wird offenbar auch noch hantiert: Schon vor der Razzia in San Remo waren während des Giro drei Fahrer bei den neuen EPO-Tests des Radsportverbandes UCI aufgefallen: Pascal Hervé, Sergio Barbero und Roberto Forconi. Die Ermittler hatten zudem bei den Schwiegereltern des Giro-Siegers von 1997, Ivan Gotti, verbotene Substanzen gefunden. Und zu guter Letzt wurde am Samstag bekannt, dass die Staatsanwaltschaft von Padua Untersuchungen gegen die italienische Squadra „Liquigas“ durchführt, insbesondere gegen Weltmeister Sergei Gontchar.

Jan Ullrich vom Team Telekom sprach derweil davon, dass er froh über den Ausgang der Razzia sei. Die Fahnder hätten wohl geglaubt, einen „ganzen Dopingsumpf trockenlegen zu können“. Stattdessen seien ihnen nur „ein paar schwarze Schafe“ ins Netz gegangen – und die gebe es schließlich überall. Die Branche hofft offenbar noch immer, dass das Thema einfach wieder verschwindet und man zur Tagesordnung übergehen kann.

Das Eingreifen der Behörden in Italien hat hingegen einmal mehr gezeigt, dass der Profi-Radsport, will er seine Autonomie bewahren, grundsätzlich über sich nachdenken muss. Schon bei der Tour 1998 hatten die französischen Behörden dem Sport den Spiegel vorgehalten, genutzt hat es wenig. Groß war die Empörung der Funktionäre in San Remo darüber, dass der Staat sich schon wieder so weit in ihr Territorium vorwagt und ihnen somit ihre offenkundigen Versäumnisse vor Augen führt. „Das Vorgehen war nicht akzeptabel“, klagte UCI-Präsident Hein Verbruggen, und auch Walter Godefroot, sportlicher Leiter beim Team Telekom, versuchte patzig mit einem arg hinkenden Vergleich das Dopingproblem im Radsport herunterzuspielen: Das Drogenproblem sei ein allgemeines, das sehe man im Tennis, wo eine Heroinabhängige in Paris gewonnen habe.

Um die Glaubwürdigkeit seines Sports hat Godefroot offenbar weniger Angst als um die anstehende Tour de France. Vielleicht, so fürchtet er, könnten dort, wenn die Ergebnisse der italienischen Behörden publik würden, gar nicht alle Mannschaften starten. Godefroots Sorge um die Tour dürfte nicht unbegründet sein.

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