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„die tür im herz kracht zu“

Als Übersetzer von Charles Simic sowie als Herausgeber der Lyriksammlung „Die Außenseite des Elements“ hat sich Jan Wagner einen Namen gemacht. Nun hat der 30-Jährige erste eigene Gedichte veröffentlicht: „Probebohrung im Himmel“. In ihnen soll das Banale mit dem Erhabenen Hochzeit halten

von ANDRÉ HATTING

Die Nachtfahrt mit dem Reisebus von Berlin nach Wien führt über Tschechien. Holprige Straßen erinnern an unbekannte, realsozialistische Zeiten. Die zahlreichen Prostituierten dagegen, die hinter großen Kneipenfenstern herumtanzen, kennen die Durchreisenden aus den heimischen Fernsehreportagen. Der Bus hält hier nicht. Sextouristen kommen mit dem Pkw.

Jan Wagner macht aus diesem Reiseeindruck ein Gedicht in eigenartiger Tonart. Seine letzten Strophen lauten: „in der hauptstraße aber schrien die schaufenster: / unter grünem neon tanzten // frauen auf linoleum wie auf eis / und spielten dem westen die brüste zu: uns // den fremden mit der valuta unter dem herzen / die weiterfahren würden, spüren würden / wie sich das gebirge unter den reifen / langsam in sich selbst zusammenzog.“ Wenn man die komische Ballsportassoziation ausklammert, dann klingt Brüste „zuspielen“ als Beschreibung der heutigen Situation seltsam altmodisch. Auch das Bild von der „valuta unter dem herzen“ wirkt staubig, wenn nicht sogar etwas schief. Das Herz als Gemeinplatz für Gefühl und Seele, das ist noch verständlich. Doch wie kommt die Fremdwährung ausgerechnet „darunter“? Dass wir Kapitalisten aus dem Westen nur unser Geld ins Herz geschlossen haben beziehungsweise darunter mit ihm schwanger gehen, dort also kein Platz bleibt für Mitleid oder ähnlich menschliche Regungen – so oder so ähnlich muss es wohl gemeint sein.

Die Bestätigung folgt im anschließenden Zweizeiler, in der das Gebirge sich „unter den reifen“ des Nachtreisebusses „in sich selbst“ verkriecht. Wie in dieser Schlussstrophe gleich die gesamte Natur, nicht bloß die menschliche, unter die Räder westlicher Reisebusse kommt, das ist dick aufgetragen.

Ein etwas antiquierter Ausdruck und vor allem die wuchtigen Bilder finden sich so oft in Wagners erstem Gedichtband, dass man befürchtet, es dabei mit seinem persönlichen Stil zu tun zu haben. Besonders oft belasten ein oder mehrere tonnenschwere „jahrhunderte“ die harmlosen Motive des Lyrikers. Dichter Nebel wird zum „schlaf von jahrhunderten“, Regentropfen enthalten „die geballte kraft eines ganzen jahrhunderts“, in den „ohren“ alter Kastanien stecken „jahrhunderte wie dicke pfropfen“. So wie man früher Löcher in neue Jeans geschnitten hat, damit sie cool aussehen, schneidet Wagner große Metaphern in seine Poeme hinein, damit sie dichterisch aussehen.

„in den jahren vor dem champagner“ ist der erste von drei Abschnitten der Sammlung überschrieben. Das Titelgedicht beschreibt aus der Perspektive Dom Pérignons, dem Entdecker des Champagners, dessen Leben als Benediktinermönch: „oft denke ich an das zeichen und wie ich mich freute: / an einem abend im weinberg, als ich gerade / zur messe heimkehrte, stob vor mir ein perlhuhn / auf aus den reben . . .“ Pilzrezepten, einem Fisch auf einer Zeitung, der „gesetzt den fall daß fische lesen können“, eben diese Zeitung läse oder einer „erinnerung an las vegas“ sind weitere Gedichte gewidmet. Die eingangs zitierten Nutten bilden da schon ein gewagteres Motiv inmitten von Versen, die verträumt vor sich hin dösen, bis sie urplötzlich von so etwas wie „die tür im herz kracht zu“ aufgeschreckt werden. Dieses Pathos, mit dem Wagner seine eher harmlosen Bilder zu akzentuieren sucht, erstaunt, liest man sein poetologisches Bekenntnis, das er kürzlich in einer Literaturzeitschrift abgelegt hat: „Mindestens hundert Meter vor dem Wörtchen Pathos oder auch nur einer Spur pathetischen Ausdrucks sollte ein großes Warndreieck aufgestellt werden.“ Dass Wagner oft unbeirrt daran vorbeifährt, könnte daran liegen, dass er gleichzeitig über das Gedicht sagt, es entstehe „an der Schnittstelle zwischen dem so genannten Banalen und dem so genannten Erhabenen“. Banale Erhabenheit wird bei Wagner aus dieser anachronistisch anmutenden Forderung.

Im zweiten Abschnitt nimmt uns der Autor mit auf die Bildungsreise nach Griechenland. In seinen „kretischen skizzen“ begegnen uns die Götter: „mit gleichsam olympischer ruhe lagen die götter / vor anker.“ Einfache Fischerboote sind damit gemeint – aber, man ahnt es mittlerweile, natürlich nicht nur, denn Wagners Gedichte entstehen ja am Übergang zwischen dem Banalen und dem Erhabenen. Auf Diaabenden mit Urlaubsfotos entsteht irgendwo dort die Langeweile. Dass der dreißigjährige Wagner über ein Drittel seines Gedichtbands mit jenen südländischen Impressionen füllt, mit denen andere Lyriker ihr Lebenswerk beschließen, kann erschrecken; man muss einfach an literarische Frühvergreisung denken.

Jan Wagner, Jahrgang 1971, hat sich bislang vor allem als ausgezeichneter Übersetzer der amerikanischen Dichter Charles Simic und James Tate um die Literatur verdient gemacht. Als Herausgeber der viel beachteten Literaturzeitschrift Die Außenseite des Elements, eine Loseblattsammlung im originellen Kartondesign, feierte er unlängst die zehnte Ausgabe. Dieses internationale Projekt der Marke „non profit art movement“ konnte sich auch nach seiner Probephase am Markt behaupten. Wagners neues Projekt, die „probebohrung im himmel“, scheint dagegen ein Indiz dafür zu sein, dass nicht jeder gedeihliche Herausgeber auch ein interessanter Autor ist.

Jan Wagner: „Probebohrung imHimmel“. Berlin Verlag, Berlin 2001,80 Seiten, 24 DM

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