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Hinrichtung Nummer 717

Die Exekution des Oklahoma-Bombers bringt den Angehörigen der Opfer nicht die erhoffte Befriedigung. Einen kurzen Moment lang entstehen ganz intuitiv Zweifel an der Todesstrafe

BERLIN taz ■ Timothy McVeigh ist tot. Als 717. Verurteilter seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA wurde der Mann, der 1995 das Bundesgebäude in Oklahoma City in die Luft gesprengt und 168 Menschen ermordet hatte, gestern früh per Giftspritze hingerichtet.

Vor aller Welt stehen die US-Amerikaner nun wieder als die blutrünstige Nation da, als ein Volk von Gewalttätern. Die einen, die Kriminellen, bringen um, wen sie gerade wollen, und die anderen, die rechtstreuen Bürger, lassen den Staat morden. Das fundamental-christlichste Land der westlichen Welt, wenn nicht der Welt überhaupt, demonstriert, dass das Töten zum menschlichen Zusammenleben einfach dazugehört.

Doch ganz so einfach ist die Hinrichtung McVeighs, oder genauer: ihre Wirkung auf die Nation, nicht zu deuten. Selbst bei den Befürwortern der Todesstrafe schafft so ein mediales Superereignis Unsicherheiten, Schwächemomente. Manche Angehörige der Opfer haben sich gedrängelt, in den Zuschauerraum zu kommen, um die Hinrichtung live oder per Videokanal verfolgen zu können. Sozialisiert mit der Logik der Todesstrafe, kann man ihnen getrost glauben, dass sie Frieden zu finden hofften. Umso größer war bei den Nachbefragungen ihre Enttäuschung: Nein, das Gefühl eines Schlussstriches unter dieses Kapitel hätten sie nicht, sagte ein Angehöriger nach dem anderen den wie immer live omnipräsenten Reportern von CNN. Und sogar bei denen, die ganz überzeugt davon sind, dass die Tötung McVeighs das richtige Mittel sei, mischten sich, nur Minuten nach dem Ansehen der Hinrichtung befragt, Unsicherheit, Nachdenklichkeit.

Selbst der Justizsprecher, der gegen 7.30 Uhr morgens Ortszeit vor der Presse offiziell den Tod McVeighs verkündete, musste sich, nach seinen persönlichen Gefühlen befragt, sichtlich zusammennehmen, um zu erklären, seine Gedanken seien bei den Opfern McVeighs. Man merkte, dass das nicht stimmte. Der Mann hatte immerhin gerade zugesehen, wie ein wehrloser Mann an eine Bank gefesselt und umgebracht wurde. Es sind diese Momente, in denen den Zuschauern ganz intuitiv bewusst zu werden scheint, dass sich der hinrichtende Staat auf das Niveau des Mörders McVeigh begibt. Der juristisch-ideologische Überbau, der ganze Apparat helfen mit, diese plötzliche Erkenntnis wieder zu verdrängen. Aber je medialer die Exekution, desto gefährlicher für die Apologeten der Todesstrafe. BERND PICKERT

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