: Produktion und Relaxion
Normal hip: Anton Hennings reduzierte Crossover-Kunst in der Galerie Wohnmaschine
Der junge Großstädter hat seine Stube in Clubs und Bars verlegt, die immer wohnlicher wurden. Im Retro-Design-Ambiente der 70er- oder 80er-Jahre lässt es sich klasse smalltalken, Cocktails trinken und Trendmagazine lesen. Ähnlich funktioniert auch der Trend zur Crossover-Kunst: Anton Henning zum Beispiel ließ in den letzten Jahren mit seinen in verschiedenen Städten gezeigten Lounges Raum, Malerei, Design, Film und Musik zum Gesamtkunstwerk verschmelzen und leistete damit einen Beitrag zur Diskussion um die zeitgenössische Malerei.
In seiner Ausstellung „Interieurs 2001“ in der Galerie Wohmaschine wird die Komplexität der Bezüge allerdings auf den Umgang mit dem traditionellen Tafelbild reduziert. Weniger ist mehr, sagte schon Mies van der Rohe, trotzdem kommt die auferlegte Reduktion nur auf den ersten Blick weniger opulent daher. Anton Henning führt den Betrachter subtil zum Hinsehen, bietet wie immer verschiedene Ebenen – ohne ganz auf Komfort zu verzichten.
Der Berliner hat seinen Ölbildern Sofa und Tisch an die Seite gestellt, die scheinbar den gemalten Interieurs entsprungen sind. So kam man auf einem hellblauen Sofa lümmeln und auf ein Bild blicken, dass ein ähnlich gestyltes, aber größeres Ecksofa gleicher Farbe zeigt. Während in der Galerie die Couch für sich allein steht, ist das Bild-Sitzelement von orangefarbenem Tisch und Teppich sowie Bildern umgeben. Einige zeigen monochrom die Farbe Orange, andere sind Bildzitate.
Anton Henning, Jahrgang 1964, zitiert aus der Kunst- und Kulturgeschichte, aber vor allem sich selbst. So schrumpfen großformatige Arbeiten, die in der Galerie hängen, zu Minibildern zusammen. Über dem gemalten Sofa hängt „Spiel“, das zwei nackte Kinder mit einem Kalb zeigt. Ein paar Meter weiter ist die Szenerie im Original zu sehen. Vielleicht ist es aber auch eine Kopie. Wer weiß schon, was zuerst da war? Ein ähnlich verwirrendes Verhältnis zwischen Produktion und Reproduktion findet sich bereits bei Henri Matisse.
Das Spiel mit dem Bild im Bild setzt sich bei Henning unentwegt fort. Das gemalte „Interieur No 83“, das ein Zimmer mit Bildern, Bett, Stuhl und Tisch auf arabeskem Fußbodenornament zeigt, taucht als Zitat in anderen Arbeiten wieder auf. Im Grunde genommen macht der Maler mit seinen Blumenstillleben, die aus einem einzigen knallbunten Kringel bestehen, den Pin-ups auf Ornamentdecken im Stil der 70er-Jahre oder seinen linearen rhythmischen Farbkompositionen nichts anderes als Andy Warhol, der die Ausstellungshallen des New Yorker Whitney Museum of American Art einst mit Kuhköpfen tapezierte und in eine Art Wohnzimmer verwandelte. Was damals noch als Skandal im Umgang mit der Institution Museum anmutete, gilt in Zeiten von Clubkultur und Crossover-Culture als normal hip.
ANDREAS HERGETH
Bis 23. Juni, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Wohnmaschine, Tucholskystraße 35, Mitte
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