: Die In-Group um Abraham, Isaak, Kain und Abel
■ Messe mit Conférencier: Wiebke Puls inszeniert moderne Glaubensbekenntnisse am Schauspielhaus
Es ist ein bisschen wie mit den mittelalterlichen Tafelbildern: eindimensional auf den ersten Blick, diffus symboldurchwirkt auf den zweiten: Lilien stehen für Unschuld, Veilchen ebenfalls, das Gold für das Gotteslob... Die Liste der christlichen Symbole ließe sich so endlos fortsetzen wie die Diskussion über die nur scheinbare Zweidimensionalität der Ikonen, die in Wirklichkeit raffinierte Perspektivverschiebungen bieten.
Mit christlichen Formen, Riten, Geschichten und Symbolen befasst sich auch die Schauspielerin Wiebke Puls, deren Stück Messe jetzt am Schauspielhaus uraufgeführt wird: Die Geschichte von Evas Versuchung, von Kain und Abel, von Erkenntnissuche und Zweifel hat sie in Texte gefasst, drumrum eine Szenenfolge geschrieben, die sich mit der katholischen Liturgie deckt.
Zwölf Personen versammeln sich in einer Art Arena und geben Choräle und poppige Clustergesänge von sich. „Archetypische Geschichten“ in Anlehnung an Biblisches erzählen die Figuren, von denen einige „durchaus maskenhaft gemeint sind“. Ohne Rücksicht auf den Wiedererkennungseffekt bedient sich Wiebke Puls dabei biblischer Stoffe und lässt die Schauspieler Glaubensbekenntnisse, „Statements“, ablegen und Gemälde wie Leonardo da Vincis Abendmahl nachstellen.
Was aber, wenn das bildungsskeptische Publikum gar nicht begreift, welche Geschichten gemeint sind? „Macht nichts“, sagt Wiebke Puls. „In den Szenen steckt auch so genug drin.“ Die Verbindung zwischen den einzelnen Passagen soll sowieso ein „Engel der Geschichte“ als Conférencier herstellen. „Und dass die Monologe von der Glaubenssuche handeln, wird auf jeden Fall klar, schließlich sagen die Figuren das dazu.“
Warum aber ist der 27jährigen das Thema so wichtig, dass sie es abendfüllend auf die Bühne bringen will? „Sex und Crime inszeniert doch heute jeder. Sex ist kein Tabuthema mehr, Religion aber sehr wohl.“ Sie will nicht missionarisch sein, ist aber sicher, „dass es sich lohnt, über Glaubensfragen nachzudenken, auch wenn Glaube nicht leicht zu erringen ist. Aber darin liegt überhaupt die Crux für die heutige Gesellschaft: Man wird auf den schnellen Erfolg bei minimiertem Aufwand getrimmt – und genauso funktioniert Glaube nicht. Man kann nichts Bestimmtes tun, um ihn zu bekommen. Man kann sich nur konstant darum bemühen. Und man muss die innere Freiheit haben, auf andere zuzugehen und Gemeinschaft zu praktizieren.“ Es reiche nicht, nur zu nehmen, „man muss auch bereit sein, etwas wegzugeben, ohne gleich die Rechnung zu präsentieren.“
Klingt alles wahr, klingt „heilig“, wie der trendig Ungläubige sagen könnte – und doch greift dies bezüglich der Motivation von Wiebke Puls zu kurz: „Denen, die sagen, sie hätten mit Religion abgeschlossen, glaube ich nicht so recht: Viele haben sich gar nicht intensiv damit befasst. Wie können sie also etwas ablehnen, das sie gar nicht kennen?“ Wie aber will sie selbst mit einem Publikum kommunizieren, das christliche Symbole eventuell gar nicht identifizieren kann? Ist vielleicht eine müßige Frage, ist wohl auch nicht ihr Problem. Denn was Wiebke Puls hier praktiziert, ist die höchst raffinierte Aneignung zeitgenössischer Popregie-Methoden: eigene (früher sogar mal konsensfähige) Symbole zu setzen und so eine exakt definierte und sozialisierte In-Group anzusprechen.
Und ganz nebenbei hat Wiebke Puls damit ein Thema auf die Bretter geholt, das mit der derzeit so beliebten Nabelschau wenig zu tun hat, sondern – auch – Visionen menschlichen Zusammenlebens liefern könnte. Petra Schellen
Premiere: heute, Donnerstag, 20 Uhr, Schauspielhaus
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