: Russische Waffen für den US-Raketenschirm?
Kurz vor dem Treffen von Bush und Putin wird Kompromissangebot bekannt: Washington will Moskau am Aufbau des Systems beteiligen
MOSKAU taz ■ Das erste Etappenziel in den russisch-amerikanischen Beziehungen hat Moskaus Diplomatie bereits erreicht. Denn eigentlich hatte Washington die erste Zusammenkunft mit Kremlchef Putin erst für Juli geplant. Und das auch nur sozusagen im Vorbeigehen am Rand des Gipfels der Regierungschefs der führenden Industrienationen der Welt in Genua. Außenminister Igor Iwanow schaffte es jedoch, im Mai die US-Regierung zu einem vorgezogenen Treffen zu überreden. Nichts trifft die russischen Großmachtnostalgiker härter als Nichtbeachtung. Handfeste Streitigkeiten sind dem allemal vorzuziehen. Daran hat es in der jüngsten Geschichte der beidseitigen Beziehungen auch nicht gemangelt.
Im Februar erschütterte der Spionagefall Robert Hansen das Verhältnis zu Moskau. Über ein Jahrzehnt hatte der FBI-Agent hochsensibles Material nach Russland geliefert. Washington reagierte mit der Ankündigung, bis zum Sommer 50 russische Diplomaten auszuweisen. Im Gegenzug erklärte der Kreml ebenso viele US-Diplomaten zu Personae non gratae. Als im März ein Beamter der US-Administration überdies den Außenminister Tschetscheniens, Iljas Achmadow, empfing, hallte ein Aufschrei der Empörung durch Russland. Kurzum: Die Bush Administration piesackte den Kreml in den ersten Wochen mit Nadelstich auf Nadelstich.
Dazu gehörten auch die Vorwürfe des US-Verteidigungsminsteriums und des CIA, Moskau gehöre zu den Proliferatoren von Raketen und Militärtechnik an unzuverlässige Staaten. Im Kreml hätte man die Kritik erwarten können. Seit Jahren versuchte Washington, Russland davon abzubringen, Nukleartechnologien an den Iran zu verkaufen. Schon aus Protest gegen den amerikanischen Führungsanspruch würde sich Moskau darauf nicht einlassen. Höhepunkt des theatralischen Muskelspiels: Der Kreml verlieh Orden und Ehrenzeichen an Piloten, die nach dem Motto „Uns gibt es auch noch“ im Pazifik einen amerikanischen Flugzeugträger in Schussweite überflogen und umkreist hatten.
Das vorgezogene Gipfeltreffen signalisiert indessen, dass mehr Nüchternheit in die Beziehungen einzieht. Auf der Agenda stehen vor allem Washingtons Pläne für das Raketenabwehrsystem NMD. Die russischen Bedenken dagegen sind schwächer geworden. Desgleichen lenkte Washington in der Diskussion um den ABM-Vertrag ein. Ursprünglich wollten die USA auch gegen russischen Willen das Vertragswerk aus dem Jahre 1972 aufkündigen, das das Gleichgewicht des nuklearen Schreckens festschreibt, indem es eine landesweite Abwehr verbietet. Kurz vor dem Gipfel sickerte nun durch, dass Bush seinem russischen Amtskollegen in Ljubljana einen weitreichenden Kooperationsvorschlag unterbreiten könnte: Von engerer Zusammenarbeit bei der Entwicklung von NMD und gemeinsamen Übungen der Raketenabwehr war die Rede. Desgleichen gibt es Vorschläge, das russische Warnsystem mit Hilfe amerikanischer Finanzspritzen zu modernisieren, die russische Luft-Boden-Rakete S-300 in NMD zu integrieren und Moskau zusätzlich mit Waffenaufträgen zu versorgen.
Alles in allem reizvolle Köder. Im Kreml ist man indes vorsichtiger geworden. Hoffnungen, wie man sie in den 90er-Jahren noch hegte, der Westen werde Wohlverhalten großzügig belohnen, haben sich nur selten bewahrheitet. Weitere Haken: Welche Gegenleistungen verlangt Washington außer der Neuverhandlung des ABM-Vertrags? Russlands Zustimmung zum Nato-Beitritt der baltischen Staaten etwa? Den Verzicht auf deren Aufnahme könnte indes auch der Kreml zur Bedingung machen, der Veränderung des ABM-Vertages zuzustimmen. Doch darauf wird sich Bush nie einlassen.
In Ljubljana steht einiges auf dem Spiel. Es geht darum, Russland nicht seinen Isolationsängsten zu überlassen. Noch immer hat sich Moskau nicht entschieden, was es will: langfristig in den Westen integriert zu werden oder die Rolle eines eurasischen Außenseiters zu spielen. Der ehemalige Premier Jewgeni Primakow hat sich bereits entschieden: Was mache mehr Sinn, schwächstes Glied in den G8 zu sein oder stärkste Macht unter den nicht hoch enwickelten Ländern . . .
Weder die eine noch die andere Partei verfügt in Russland über eine Mehrheit. Der Konflikt lähmt und hindert die außenpolitische Elite, gegenüber dem Westen offensiver aufzutreten. Wie würde man dort wohl reagieren, wenn Moskau einen Antrag stellte, in Nato und EU aufgenommen zu werden? Beide Seiten wären gezwungen, lange und intensiv miteinander zu reden – und so dem Undenkbaren ein Stück näher zu kommen.
KLAUS-HELGE DONATH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen