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Steaks und schulterfreie Kleider

Sonntag schließt die Gastronomie im Steglitzer „Bierpinsel“. Wirklich schade ist das nicht – obwohl damit ein Stück Erlebniswelt des alten Westberlins verloren geht. Eine Welt, in der schulterfrei gekleidete Damen in Steakhäuser an der Schnellstraße gehen

von KIRSTEN KÜPPERS

Es ist eine Frage der Zumutbarkeit. „Die Damen in den schulterfreien Kleidern frieren im Steakhaus“, erklärt Horst Weißig. Und damit ist ja wohl alles gesagt. Ein zugiges Steakhaus kann nicht funktionieren. Eine ganz einfache betriebswirtschaftliche Kalkulation ist das – die versteht schlicht jeder.

In einem zugigen Steakhaus werden die Steaks schnell kalt, die Mägen gehen von alleine zu und eine romantische Behaglichkeit stellt sich gar nicht erst ein. Da kann ein Gastronom Panoramafenster aufbieten, so viel er will, mit herrlichem Blick über ganz Berlin, vielleicht sogar der schönsten Aussicht, die man von dieser Stadt überhaupt haben kann. Nein, wenn es durch diese Fenster zieht und das Fleisch kalt ist, nutzt auch keine üppige Salatbar. Und wenn die Gäste frieren, gehen sie und kommen bestimmt nie wieder. Eine solch ruinöse Gaststätte kann man nur aufgeben. So rechnet ein Unternehmer wie Horst Weißig im Bezirk Zehlendorf-Steglitz. Wo ein Wahrzeichen der Stadt ein Steakhaus ist.

Der „Bierpinsel“ an der Schlossstraße in Steglitz ragt also ab diesem Sonntag gänzlich funktionslos über die Stadtautobahn. Denn mit dem Steakhaus schließt der Betreiber Horst Weißig wegen baulicher Mängel auch gleich das ganze übrige Innenleben des 48 Meter hoch hängenden, bleichrot verkleideten Gebäudekomplexes: das Café und die Diskothek „Pin Pin“. Und damit dürfte dann endgültig keiner mehr begreifen, warum der unförmige Betonturm eigentlich den sonderbaren Namen „Bierpinsel“ trägt, wo er doch noch nicht einmal eine Schankwirtschaft beherbergt.

Ohne Steaks und Tanzen, ohne übereinander gestapelte Gastronomiebetriebe macht dieses Bauwerk tatsächlich weniger Freude. Reduziert auf sein Äußeres bleibt nur der Eindruck einer sehr befremdlichen Hülle, eine futuristische Wucherung auf einem Stelzbein, vielleicht aus einer Legolandschaft entwendet. Und mit dem Aus der Dienstleistungsangebote droht auch die Diskussion über die Daseinsberechtigung des Gebäudes wieder über den Bierpinsel hereinzubrechen.

Dabei ist die 1973 vom Architekten Ralf Schüler entworfene Steglitzer Sehenswürdigkeit schon oft beschimpft worden: Als Klumpfuß wurde das Bauwerk bezeichnet, als Leuchtturm vergessener Geschmacklosigkeiten oder als dämonische Kreuzung aus Stammheim und Stasi-Zentrale, mit der Westberlin ungebrochen seine Ästhetik des Hässlichen feiert.

Tatsächlich hat Ralf Schüler jedoch beim Entwerfen des Bierpinsels an einen Baum gedacht, an einen „schmalen Schaft mit ausladenden Ästen, in denen Restaurant-Kanzeln hängen“. Sein Gewächs freilich, errichtet über einem Gewirr von Straßenrampen, Parkdecks und Verkehrsknotenpunkten, dekorierte in Wahrheit nur die Idee der autogerechten Stadt. Und während Schülers anderes Berliner Projekt, das ICC, diese Vision für wohlwollende Betrachter als großes weißes Raumschiff einigermaßen glaubhaft weitertragen mag, wirft der Bierpinsel seine Umgebung umso brutaler auf die Wirklichkeit dieses Ideals zurück, je mehr seine rote Stahlverkleidung verblasst, je mehr es durch das Dach regnet und je mehr die Kälte durch die Fenster zieht.

Mit dem Nachlassen der Funktionstüchtigkeit des Materials hat sich allerdings auch Ralf Schüler von der Moderne verabschiedet. Er gehört mittlerweile zum Verein der Architekten, die sich um die Wiedererrichtung des Stadtschlosses bemühen. Und wenn denn nun am Sonntag auch Horst Weißig nach 18 Jahren seine Restaurants im Bierpinsel aufgibt, weil die Vermieterin, die Berliner Wohn- und Geschäftshaus GmbH (Bewoge), die Mängel am Gebäude nicht zu seiner Zufriedenheit behebt – dann wird wieder ein Stück Erlebniswelt des alten Westberlins verloren gehen. Ein Zipfel jener urbanen Welt also, in der die Damen noch mit schulterfreien Kleidern in Steakhäuser an der Schnellstraße gehen. Und der nur mit dem Aufzug erreichbar ist.

Das muss einen nicht unbedingt wehmütig stimmen. Aber tatsächlich ist es auch ein wenig schade.

So bleibt also nur, alle Menschen bis Sonntag auf einen hübschen Ausflug nach Steglitz zu schicken. Die Aussicht vom Bierpinsel-Café ist wirklich fabelhaft. Es gibt dort Calvados-Torte. Die Rentnerinnen erzählen unbeschwerte Geschichten von Didi Hallervorden. Und im Aufzug riecht es seltsam nach Fleisch und Bier.

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