: Bei wenig Zwieback Segel reffen
■ Tschüss Seemannsromantik, ahoi Globalisierung! Der Matrose von heute ist arm dran: Wenig Heuer, dafür umso mehr Stress
Früher kletterten sie trotz steifer Brise mit Anker-Tatoo durch die Takelagen, kaperten mal hier eine Kogge voller Golddublonen, eroberten mal dort das Herz einer schicken Seemannsbraut. Ahoi, muss das lustig gewesen sein. Doch der Lack ist ab, Matrose sein ist heutzutage ein ganz anderer Schnack: Ölpest, Skorbut, russische U-Boote, das Becks-Segelschiff – und die Globalisierung. Globalisierung? Genau, denn die treibt die Schiffer des 21. Jahrhunderts über die Weltmeere. Deshalb kümmert sich ab morgen eine Tagung der Forschungs- und Kooperationsstelle Schifffahrt (FKS) der Uni Bremen um das Thema. Lotsen, Wasserschutzpolizei, Matrosen und Studenten haben sich schon angemeldet.
„Die Schiffe werden immer größer, die Crews immer kleiner“, sagt Heide Gerstenberger von der FKS. „Heute kostet der Unterhalt eines Containerschiffes nur noch 25.000 Dollar am Tag. Die Hafengebühren sind fix, der Ölpreis ändert sich auch nicht groß – der einzige Faktor, an dem sich wirklich sparen lässt, ist die Mannschaft.“
Das wird auch kräftig getan. Früher befuhren die großen Pötte noch mit 40 Matrosen die Weltmeere, heute sind es nur noch 20. Die Heuer ist so minimal, dass ein deutscher Käpt'n auch nach 30 Jahren an Bord nur auf 2.300 Mark Rente kommt. Die Decksleute sind noch ärmer dran: Selbst auf deutschen Schiffen verdienen sie gerade noch 700 Dollar im Monat. Deshalb reffen hier auch fast nur noch Rumänen, Kambodschaner oder Kiribati (Südsee-Insulaner) bei wenig Schiffszwieback die Segel. Gleichzeitig ist die deutsche Seefahrernation auf 12.000 Leute, die meisten davon Offiziere, geschrumpft.
Angefangen hat alles in den 70ern durch die Ausflaggung der Schiffe. Deutsche Fahne weg, liberianische, maltesische oder zypriotische ran, um Steuern zu sparen und Kontrollen auf ihren Kähnen zu vermeiden. „Flaggs of convenience“ nennt man das im Schiffersprech.
„Derzeit“, so Gerstenberger“, „boomt Bolivien: 5.000 Prozent mehr Schiffe im Vergleich zum Vorjahr.“ Dabei hat das Andenland überhaupt keine Küste. Die andere Möglichkeit, um die Heuer zu sparen: So genannte Zweitregister, also deutsche Flagge, aber polnische und philippinische Löhne. Die Zwei-Klassen-Gesellschaft auf den Schiffen bringt ungefähr ein Drittel Kostenreduzierung, sagt Gerstenberger.
Unter der Globalisierung am meisten zu leiden haben die Seeleute: Die Crews werden immer internationaler, die Schiffe immer enger. „Der Stress ist viel größer als früher. Es gibt weniger Grillparties, weniger Alkoholkonsum, aber auch mehr einsame Seeleute, die nur noch Video in ihrer Kabine schauen“, erklärt FKS-Mann Ulrich Welke. „Es gibt aber auch Schiffe, auf denen die Matrosen nicht genug zu essen bekommen“, meint Welke. Sogar deutsche Kähne seien darunter. An alle Landratten: Entweder nicht anheuern oder zur Tagung in die Handelskammer im Haus Schütting kommen!
ksc
Tagungsbeitrag 30 Mark, 10 Mark für Studenten. Tel.: 218 3066
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