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: Stumme Zeitgeschichte

■ Als nach dem Ersten Weltkrieg als Folge der Republikgründung in Deutschland die Zensur vorübergehend abgeschafft wurde, wirkte sich dies auch auf die Filmproduktion in entscheidender Weise aus: In kurzer Zeit entstand eine Vielzahl von sogenannten Aufklärungs- und Sittenfilmen, in denen nun zuvor totgeschwiegene Themen verhandelt werden konnten. Führender Vertreter des neuen Genres war der Regisseur Richard Oswald, der bereits 1917 mit „Es werde Licht“, einem Film über die Gefahren der Syphilis (dem er gleich noch zwei Fortsetzungen hatte folgen lassen), an die Öffentlichkeit getreten war. Seinerzeit hatte selbst die Militärführung des Kaiserreichs an der Eindämmung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten Interesse gezeigt - doch nach dem Wegfall der Zensur wandte sich Oswald einem noch stärker tabuisierten Thema zu: der Homosexualität. Unter Mitwirkung des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld als „sozialhygienisches Filmwerk“ geschrieben, klagte „Anders als die Andern“ direkt den Paragraphen 175 an, der gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern mit Strafe bedrohte. Erzählt wird die Geschichte eines schwulen Violinisten (Conrad Veidt), der aufgrund seiner sexuellen Neigungen einem skrupellosen Erpresser (Reinhold Schünzel) in die Hände fällt. Als er sich schließlich mit einer Anzeige gegen den Gangster wehrt, findet auch er sich auf der Anklagebank wieder. Seine Strafe (ein Tag Gefängnis) fällt zwar eher symbolisch aus, doch die gesellschaftliche Ächtung gibt ihm den Rest - er nimmt sich das Leben. Erhalten hat sich „Anders als die Andern“ nur als Fragment (aus dem Kompilationsfilm „Gesetze der Liebe“ (1927) von Magnus Hirschfeld), das kaum mehr als den rudimentären Handlungsablauf erkennen lässt - interessant bleibt der Film vor allem als filmhistorisches Dokument und Beispiel für ein Genre, das ehrlichen Aufklärungswillen durchaus mit einem gewissen geschäftlichen Kalkül zu verbinden wusste.

“Anders als die Andern“ 23.6. im Arsenal 1

■ Dem Zeitgeist verhaftet präsentiert sich auch G.W. Pabsts “Der Schatz“: Entstanden inmitten der Inflationszeit von 1923, handelt Pabsts Regiedebüt von der Gier nach einem verborgenen Vermögen und den Erwartungshaltungen an die Zukunft, die sich für die Protagonisten aus dem Auffinden desselben ergeben.Die Handlung trägt sich größtenteils im Haus eines Glockengießers zu, in dem ein Handwerksgeselle (Werner Krauss) einen Schatz aus der Zeit der Türkenkriege vermutet. Von seinen Mitbewohnern anfangs als Spinnerei eines Verrückten abgetan, setzt sich seine Obsession jedoch langsam auch in ihren Hirnen fest. Als der Schatz tatsächlich gefunden wird, kommt es fast zwangsläufig zu Mord und Totschlag, dem nur die Tochter des Hauses und ihr Freund, ein Goldschmied, entgehen, weil sie den materiellen Werten freiwillig entsagen. Ästhetisch ist „Der Schatz“ allerdings noch deutlich der vorangegangenen düster-romantischen Epoche des deutschen Stummfilms verhaftet: Die gedrungenen, erdhaften Bauten von Robert Herlth und Walter Röhrig finden ihre Entsprechung im Schauspiel von Werner Krauss, der gebückt, mit hängenden Schultern und tappenden Schritten durchs Haus schleicht.

“Der Schatz“ 22.6. im Arsenal 1

■ Um eine Truhe voller Silber geht es unter anderem auch in Mauritz Stillers „Herr Arnes Schatz“ (1919), einer episch angelegten “Winterballade“ nach einem Roman von Selma Lagerlöf, die in einer Reihe mit schwedischen Filmklassikern ebensowenig fehlen darf wie Victor Sjöströms Drama um die moralische Läuterung eines Trinkers, “Der Fuhrmann des Todes“ (1921). „Herr Arnes Schatz“ erzählt eine tragische Liebesgeschichte aus dem 16. Jahrhundert, in der sich eine junge Waise ausgerechnet in den Mörder ihrer Pflegefamilie verliebt. Dabei beeindrucken vor allem Stillers Einbeziehung der rauhen, unwirtlichen Natur in das Drama und sein Gespür für fotografische Effekte - wie etwa den Leichenzug schwarz gewandeter Gestalten über das weiße Eis.

“Herr Arnes Schatz“ 24.6. im Freiluftkino Podewil „Der Fuhrmann des Todes“ 23.6. im Blow Up 1

Lars Penning