„Hören, was die Leute wollen“

Ein Viertel der New-Economy-Betriebe hat Betriebsrat. Neue Gewerkschafter wie Olaf Hofmann organisieren sie

BERLIN taz ■ Gewerkschafter müssen so sein wie die Leute, die sie vertreten. Bei Olaf Hofmann sieht es so aus wie in den Software-Firmen der New Economy: Der Laptop des 33-Jährigen auf dem Schreibtisch ist immer online, das Handy griffbereit, Bequemlichkeit kommt in seinem Büro nicht auf – zwischen Computerkartons und Tonerkartuschen, die sich in den Ecken stapeln.

Der Spaßfaktor spielt in seinem Leben eine erhebliche Rolle. Er genießt südafrikanischen Rotwein und schaukelt gerne mit seinem weißen 77er-Daimler durch das Berliner In-Viertel Prenzlauer Berg. Viel Arbeit wird weniger, wenn man sie nicht so verbissen sieht.

Auch in Hofmans Biografie gibt es Ähnlichkeiten zu den Beschäftigten so manchen Start-Ups. Das Studium zum Wirtschaftsingenieur hat er irgendwann sein lassen. Als Filmvorführer in einem Cinemaxx-Kino des Hamburger Flebbe-Konzerns ging es los, nun organisiert er für das Projekt „Connexx.av“ der Gewerkschaft Ver.di Beschäftigte der New Economy. „Connexx“ steht für „Verbindung“, „av“ für „audiovisuelle Medien“.

Olaf Hofmann und seine fünf KollegInnen bundesweit sind neue Gewerkschafter. „Vertreten“ sie die Belegschaften der modernen Betriebe? Eher nicht. Sie bieten ihrer Kundschaft, dem Personal, eine sehr individuelle Dienstleistung an. Es geht in diesen Branchen nicht mehr darum, dass die Gewerkschaft mit ihrer Lohnforderung von fünf Prozent in ein Unternehmen einreitet. Olaf Hofmann redet viel von „zuhören, herausfiltern, die Bedürfnisse ernst nehmen“.

Das bezieht sich zum einen auf die Strukturen. Die Software-Ingenieure und Filmtechniker lieben ihre eigenen, sehr speziellen Organisationsformen über alles. Da gibt es nicht nur Betriebsräte, sondern auch Runde Tische, Unternehmensphilosophen und alle möglichen anderen Netzwerke, die die Interessen der Beschäftigten zur Geltung bringen. Gestern berichtete der Verein pol-di.net, eine Kommunikationsplattform für Internet und Politik, über neueste Forschungsergebnisse: Demnach verfügen von 225 Aktiengesellschaften des Neuen Marktes immerhin 30 über irgendwelche selbst gebastelten Gremien.

Zuhören ist auch angesagt im Hinblick darauf, was die Leute wünschen. Dass die Anliegen nicht umstandslos mit dem harmonieren, was die Gewerkschaft auf ihre Fahnen schreibt, hat Hofmann inzwischen gelernt. Da kann es passieren, dass die Computerangestellten viel mehr Überstunden zu leisten bereit sind, als es mit normalen gewerkschaftlichen Vorstellungen vereinbar wäre. „Dann kann ich nur meine Bedenken äußern“, sagt der stoppelhaarige Berater – und versuchen, bei aller Flexibilität der Arbeitszeiten die Bezahlung der Überstunden zu verankern.

Connexx.av betrachtet sich als Speerspitze der Gewerkschaften im digitalen Kapitalismus. Mehr als ein Dutzend Betriebsräte hat das Projekt mit initiiert, seit die Krise der New Economy im März 2000 um sich zu greifen begann. Doch interessanterweise gibt es Betriebsräte bereits in 58 der 225 Unternehmen des Neuen Marktes, die pol-di.net zusammen mit der Initiative D21 (Förderung der Informationsgesellschaft) befragt hat. Das deutet darauf hin, dass Mitarbeitervertretungen nicht nur ein Krisenphänomen sind.

Gerade wenn Kündigungen oder gar Firmenschließungen anstehen, garantieren sie zwar etwas Sicherheit, doch sie dienen auch der Professionalisierung ehemals anarchischer Arbeitsverhältnisse. „Unternehmen werden dadurch effizienter“, weiss Olaf Hofmann.

HANNES KOCH

www.connexav.de,

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