: Männer sind Freunde
Fett vom Geld, aber genug Zeit zum Hopsen: In der Wuhlheide retteten die Ärzte den Sommer, die gute Laune und die Ironie
von ANDREAS BECKER
Das ist schon eine lustige Truppe, wie sie da kurz nach acht einfach so hinter einem Vorhang mit der Aufschrift „Die beste Band der Welt“ zu dritt auf der Betonbühne stehen. Die Wuhlheide ist den zweiten Tag proppevoll mit Leuten – etwa 18.000 sollen es sein. „Arbeit ist scheiße“ steht bei manchen über dem Busen auf dem T-Shirt. Einige Jungs sehen so alt aus wie die Zahl, die sie auf ihrem Ärzte-Trikot tragen: ganz und gar 13. Das Publikum ist generationenübergreifend wie bei kaum einer anderen Band. Bei den Ärzten singt die ganze Familie den Text mit – ob Bierbauch oder Konfirmandentörtchen (irgendwie erinnert man sich bei den Ärzten an den größten Quatsch aus der Jugend, komische Wörter zum Beispiel).
Gibt es die Ärzte tatsächlich schon zwanzig Jahre? Jedenfalls hatten sie Ende der Achtziger die Nase voll, hatten wohl auch das Gefühl, nicht ewig eine „Teenieband“ sein zu wollen, und lösten sich auf. Mit ihren Soloprojekten aber wurden Bela B. und Farin Urlaub überhaupt nicht froh – keiner wollte sie ohne Krankenschein hören. Also setzten sie 1993 eine Kleinanzeige in ein Fachblatt: Band sucht Plattenfirma. Die Ärzte gab es wieder, auch wenn einige Journalisten sie bei Interviews schon nicht mehr erkannten. Als 1998 ihre Plattenfirma Metronome aufgelöst wurde, übernahmen sie die Sache komplett selbst. So können sie heute unabhängig produzieren, provozieren und Spaß haben. Geld haben sie wie Heu gescheffelt, Blondchen Farin hat nebenbei an der FU studiert, ihr Manager, der frühere Plattenverkäufer Axel, ist längst fett vom Geld und fährt rote Sportwagen.
Gleich als ersten Song spielt die Band „Schrei nach Liebe“. Darin wurden schon 93 nicht nur Faschos verarscht, sondern auch gleich die klugen Sozialarbeiter der Nation mit: „Du hast nie gelernt dich zu artikulieren. Deine Eltern hatten niemals für dich Zeit.“ In diesem Publikum haben alle genug Zeit. Bereitwillig hopsen die Leute, wenn Farin es ihnen sagt und über gruselige Frisuren singt: „400-Meter-Lauf geht ja hier irgendwie nicht, also hopsen!“ Oder sie sprechen Bela absurde Texte nach bis zur Aufforderung, dem Schlagzeuger all ihr Geld zu überweisen. Aber ihr wisst seine Kontonummer ja gar nicht, sagt dann Farin.
Bei den Ärzten bestätigt sich, dass es sich angenehmer lacht über intelligente Witze und über Figuren, die sich selbst äußerst albern finden. „Also, wir als Rockstars kennen natürlich nur noch andere Rockstars ...“ War es früher bei Ärzte-Konzerten aber noch so, dass man die Musik eher als undefinierbaren Soundbrei zwischen Punk, Rock und vor allem Schrott hinnahm, haben sie inzwischen gelernt, sogar ihre Instrumente halbwegs zu beherrschen. Bela macht denn nicht nur Witze über den Superanzug und Riesenschwanz von Rod, sondern auch über Farins Gitarrenunterricht. Außerdem scheint der für den Herbst ein Soloalbum zu planen, was Bela lustig findet.
Die Ärzte vollbringen das Kunststück, 18.000 Leute in gute Laune zu versetzen. Wer hier bescheuert zu La-Ola-Wellen den Bierbecher und Arsch hebt, weiß, dass er dabei nicht zum Doofie wird. Denn den Unsinn der Inszenierung Pop liefern die Ärzte im Subtext ihrer Verkleidung immer mit. Auch die drei machen natürlich La Ola. Diese Band ist schlau, und ihr größtes Verdienst ist vielleicht, dass wirklich alle anderen (nicht nur deutschen) Bands neben ihnen wie Deppen wirken. Wer hat denn sonst noch so viel Selbstironie?
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