: „Zwei Titel sind schlecht“
Wladimir Kramnik ist zwar Schachweltmeister, als solcher aber vom Weltverband Fide nicht anerkannt. Bei den Chess Classics in Mainz tritt er gegen deren Titelträger Viswanathan Anand an
Interview HARTMUT METZ
taz: Herr Kramnik, durch einen offenen Brief zusammen mit den Ex-Weltmeistern Anatoli Karpow und Garri Kasparow zur Bedenkzeitregelung sorgten Sie für eine erhitzte Debatte, weil Sie als 14. Weltmeister unterzeichneten. Alexander Chalifman und Viswanathan Anand reagierten erbost, stünden doch ihnen die Etiketten als die Weltmeister 14 und 15 der Schach-Geschichte zu.
Wladimir Kramnik: Zunächst einmal juckt es mich überhaupt nicht, welche Nummer ich habe. Wenn man aber pedantisch sein will, muss man auch den Modus der heutigen Weltmeisterschaften beäugen. Die Fide-WM hat, so wie sie im K.o.-Modus durchgeführt wird, überhaupt keine Verbindung zum traditionell gewachsenen Titel von Lasker, Steinitz oder Aljechin.
Wie meinen Sie das?
Diese 14 Weltmeister verbinden Zweikämpfe, nach denen der Sieger des Finales Weltmeister war. Diese Geschichte ist älter als der Weltverband Fide. Erhebt die Fide den Anspruch, ihr System sei das richtige und ich kein legaler Weltmeister, soll der Verband neu zu zählen beginnen.
Welche Ziffern würden Sie Chalifman und Anand zuordnen?
Vielleicht Nummer eins und zwei einer neuen Zeitrechnung. Wenn sie aber unlogisch denkend auf Nummer 14 und 15 beharren, schert es mich ebenso wenig.
Wenn die WM-Titel so unterschiedlicher Natur sind, sehen Sie dann überhaupt Grund zu einem Vereinigungsmatch?
Oh ja, dazu kann es sicher in Zukunft kommen. Die derzeitige Situation mit zwei Titeln ist schlecht für die Schachwelt. Daher wäre es großartig, eine Wiedervereinigung zu erreichen. Der Graben soll nicht noch größer werden als zwischen der Fide und Kasparow.
Als Sie den unversöhnlichen Kasparow entthronten und Anand Fide-Weltmeister wurde, waren die Schachfans zuversichtlich, bald ein Vereinigungsmatch zu sehen. Schließlich wirken Sie beide weniger verbohrt und verstanden sich sehr gut. Die Euphorie ebbte inzwischen aber ab.
Meine Beziehung zu Vishy ist weiterhin okay, wir haben keine Probleme miteinander. Es fehlt jedoch an einem Organisator. Erst kündigte die Fide an, sie wolle solch ein für die Medien attraktives Duell ausrichten, nahm aber nie Kontakt mit mir auf. Bedauerlicherweise sagen die das eine und tun das Gegenteil. Ich stehe dazu: dass ich unter bestimmten Bedingungen – beispielsweise ohne Verkürzung der Bedenkzeit, die die Fide postuliert – ein Match erwäge. Die Fide muss hierfür aber den ersten Schritt tun. Momentan macht der Verband ihn jedoch nicht, vielleicht ändert sich das. Wie auch immer, ich werde versuchen, mit dem Sponsor Braingames meinen eigenen WM-Zyklus nach traditionellem Muster zu organisieren.
In Mainz steht nun im Schnellschach mit Anand das Duell der Weltmeister an.
Das ist natürlich prestigeträchtig, zumal wir am 1. Juli beide in der neuen Weltrangliste die magische Grenze von 2.800 Elo-Punkten überschreiten werden und damit den ersten Wettkampf in der Kategorie 23 austragen. Ich nehme den Zweikampf sehr ernst und bereite mich entsprechend vor.
Wie stehen Ihre Chancen?
Für mich ist es sehr schwer, weil Vishy im Schnellschach besonders stark ist. Zwischen Vishy und mir geht es schon seit Jahren in der Weltrangliste hin und her. Mal liegt er vorne, mal ich. Das Wechselspielchen kann sich noch ein Weilchen fortsetzen, wobei ich auch durchaus Platz eins miteinbeziehe. Im vergangenen Jahrzehnt spielten Vishy, Kasparow und ich das beste Schach. Ich kann mir angesichts unseres Spielniveaus vorstellen, dass wir auch in den nächsten fünf Jahren das Geschehen dominieren.
Sie peilen demnach das Ziel an, die Nummer eins zu werden?
Sie meinen nach Ratingzahlen?
Ja, Sie lagen schon vorne.
Um ehrlich zu sein: Es ist weit wichtiger, Weltmeister zu sein! Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass Garri sofort mit mir tauschen würde. Das heißt aber nicht, dass ich ihn nicht auch in der Weltrangliste überholen möchte. Er ist jedoch weiterhin ein exzellenter Spieler, besonders in Turnieren. Dank seiner glänzenden Vorbereitung und seines Stils erreicht er stets hervorragende Performance-Zahlen. Das bedeutet nicht, dass er stärker als ich oder Vishy ist. Die Ratingzahlen werden eben vor allem in Turnieren bestimmt. Gegen schwächere Gegner gibt er weniger Remis ab als wir.
Anand gilt in Mainz in seiner Domäne Schnellschach als der Favorit. Im Vorjahr trumpfte er bei den Chess Classic auf und gewann deutlich das Giants vor Kasparow und Ihnen. Welchen Ausgang tippen Sie für das „Duell der Weltmeister“?
Vor meinem WM-Match gegen Garri in London galt er auch als Favorit. Mit den 25 Minuten Bedenkzeit und zehn Sekunden pro Zug dazu ist Vishy bestimmt nicht schlechter als Kasparow, wenn nicht gar stärker. Das erschwert die Aufgabe, ich bin jedoch auch kein Waisenknabe. Im Vorjahr war ich bei den Chess Classic mehr mit den Gedanken beim anstehenden Match gegen Kasparow und wollte keine Eröffnungsideen verraten. Es war mehr Training für mich, deshalb gelang mir kein besonderes Ergebnis.
Und dieses Mal?
Dieses Mal wird es ganz anders sein: Ich nehme den Zweikampf weit ernster und bin der Überzeugung, dass ich Chancen habe zu gewinnen. Ich freue mich jedenfalls auf das Duell mit Vishy.
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