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Lebenslust durch Müßiggang

■ In Bremen gibt es eine kleine, feine Gesellschaft, die den Müßiggang förden will. Denn gegen Kanzlerworte und Arbeitsmoral ist meist kein Kraut gewachsen

„Euch ist der Mensch erst Mensch, wenn er sich plagt.“ Gegen dieses Zitat von Bert Brecht wehrt sich Otium, der Verein zur Förderung des Müßigganges. Rund 30 Bremer haben es sich auf die Fahnen geschrieben, das Leben ein bisschen lebenslustiger zu machen – mit Müßiggang. Zurzeit thematisieren sie in einer Veranstaltungsreihe „Die müßigen Tage“ Themen rund um Arbeit, Faulheit und Müßiggang.

Für die Bremer Arbeitsmoralis-ten sind Schuften und Freizeit zwei Gegenpole. Der Müßiggang dagegen stehe für sich, lässt sich überall erleben – auch bei der Arbeit. „Jeder hat eine sehr persönliche Vorstellung vom Müßiggang“, so vermeidet das Mitglied Sophie Warning eine konkrete Definition. „Du kannst auch müßig tätig sein, wenn es dich erfüllt und du Spaß dabei hast.“

Schockierend findet Warning Arbeitslosenproteste unter dem Motto „Wir würden alle gerne was tun und dürfen nicht.“ Vor drei Jahren stießen ihr solche Spruchbänder ins Auge und motivierten sie zusammen mit Felix Quadflieg eine Organisation ins Leben zu rufen, die ihren Themenschwerpunkt gegen die allzu produktive Arbeitsmoral setzten. Die erste Otium-Sitzung damals fand unter dem Motto „Nicht die Arbeitslosigkeit ist das Problem, sondern die Arbeit“ statt. Nur langsam vergrößerte sich die Resonanz des Vereins, der inzwischen 30 Mitglieder hat. In erster Linie wendeten sich Langzeitarbeitslose an die Organisation als eine Art Lebenshilfe. „Mit einem Workaholic zu sprechen wäre auch spannend. Aber die melden sich leider nicht,“ lacht Sophie Warning.

Eine Arbeitsmoral habe heute jeder. Deshalb sollen im Verlauf der jetzt laufenden Veranstaltungsreihe „Die müßigen Tage“ verschiedene Einstellungen zum Thema Arbeit diskutiert werden. Ansonsten trifft sich der Verein einmal im Monat. Meist werden Vorleseabende veranstaltet, so dass die Zuhörer durch Artikel, Aufsätze, eben „müßige Kunst“ Denkanstöße bekommen.

Der Verein möchte die Menschen anregen, wieder etwas mit sich selbst anfangen zu können. So berichtet Sophie Warning (inzwischen Vollzeit-Beschäftigte) über ihre Zeit als Arbeitslose. Weitergeben möchte sie, dass Arbeitslose diese Zeit nutzen, um sich weiterzubilden und damit nicht außerhalb der Gesellschaft stehen.

Besonders allergisch reagiert Sophie Warning inzwischen auf das Kanzlerwort zu „faulen Arbeitslosen“. „Diese machen grob geschätzt einen Anteil von drei Prozent aus. Viel häufiger werden Menschen durch das Zusammenbrechen von großen Konzernen arbeitslos“, so Warning. „Die Gesellschaft erwartet, dass jeder arbeitet, aber wenn keine Arbeit da ist, wird das zum individuellen Problem.“ Manche Menschen fühlten sich beispielsweise schuldig an ihrer Arbeitslosigkeit, als hätten sie persönlich versagt. Solche Einstellungen schützten die Machthabenden und verhinderten eine Solidarisierung der Gesellschaft, findet die Otium-Frau.

Ohne Arbeit werde man heute nicht mehr als nützliches Mitglied der Gesellschaft gesehen. Dabei sei man jetzt erstmals in der Lage sich dank zunehmender Technisierung mehr Müßiggang leisten zu können. „Es ist traurig, dass man Menschen heute beibringen muss, was sie mit sich anfangen können. Kinder können das meist noch. Aber der Fleiß ist in Deutschland eben sehr ausgeprägt.“ Warning geht noch weiter: „Die persönliche Entwicklung ist hier genauso staatstragend wie die Bundeswehr. Die heutige Generation hat es mit der Muttermilch aufgenommen, dass sie im System zu funktionieren hat.“

Ein weiteres Brecht Zitat von der Homepage des Vereins fasst das Otium-Motto besser zusammen: „Geh ich zeitig in die Leere, komm' ich aus der Leere voll. Wenn ich mit dem Nichts verkehre, weiß ich wieder, was ich soll.“

Verena Kösters

Monatlicher Müßiggang bei den Treffen im „Blauen Salon“ des Café Blau in der Travemünder Str.7a in Walle immer am zweiten Dienstag im Monat, 20 Uhr – allerdings hier erst wieder im August

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