Die Reisen des Monsieur Jacques Chirac

Frankreichs Präsident steht jetzt auch unter dem Verdacht persönlicher Bereicherung. Möglicherweise muss er als „verdächtiger Zeuge“ aussagen

PARIS taz ■ Vor dem Élysée-Palast stehen wieder die Untersuchungsrichter. Dieses Mal geht es um die „Reisen des Monsieur Chirac“, wie die französische Wochenzeitung L'Express ihren Bericht in dieser Woche süffisant titelt. Der heutige Staatspräsident, seine Gattin und seine Tochter sollen in den Jahren 1992 bis 1995, als Chirac noch Bürgermeister von Paris und längst nicht mehr französischer Premierminister war, Reisen in alle möglichen Weltgegenden bar bezahlt haben. Die Summe der Beträge, die von Chauffeuren des Rathauses überbracht worden sein sollen, ist stattlich: 2,4 Millionen Franc – 370.000 Euro.

Reiseziele der Bürgermeisterfamilie waren die USA, Japan, ein Wintersportort in den Alpen und immer wieder die tropische Insel Mauritius, das bevorzugte Urlaubsziel der Chiracs. Die Familie buchte bei immer demselben Reiseveranstalter, dessen Büro Mitte Juni durchsucht wurde und der bereits mehrfach von den Untersuchungsrichtern verhört worden ist.

Die drei Untersuchungsrichter Armand Riberault, Marc Brisset-Foucault und Renaud Van Ruymbeke ermitteln seit 1997 über Bestechungsgelder, die von Emissären der von Chirac gegründeten neogaullistischen RPR bei Bauunternehmern eingetrieben worden sein sollen, die den Zuschlag für Arbeiten an Schulen in Paris haben wollten. Im vergangenen Jahr hatte eine posthum veröffentlichte Viedokassette zusätzliches Belastungsmaterial geliefert. Auf der Kassette erklärte ein zwischenzeitlich an Krebs verstorbener früherer Geldbeschaffer der RPR, Jean-Claue Méry, wie er gegenüber den Bauunternehmen arbeitete. Unter anderem beschrieb Méry, wie er im Beisein des damaligen Premierministers Chirac einen Koffer voller Schwarzgeld abgab. Da Méry zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Geständnisses bereits tot war, sind seine Aussagen nicht gerichtlich verwertbar. Bislang gingen die Untersuchungsrichter davon aus, dass die Schwarzgelder vor allem in die Parteikassen der RPR wanderten. Die Bargeldzahlungen für Reisen werfen erstmals den Verdacht von persönlicher Bereicherung auf Chirac. Aus dem Élysée-Palast verlautete als Reaktion auf die Enthüllungen des Express über die Reisefinanzierungen, die bar gezahlten Beträge stammten aus „Prämien, die Jacques Chirac als Minister und als Premierminister erhalten hat, und um persönliches oder familiäres Geld“.

Die Pariser Staatsanwaltschaft denkt jetzt darüber nach, ob Jacques Chirac als „témoin assisté“ – als verdächtiger Zeuge, wie es das französische Gesetz für Zeugen vorsieht, die den Richtern als „belastet“ gelten – vorgeladen werden soll. Der Staatspräsident genießt in Frankreich ein besonderes juristisches Statut und kann, solange er im Amt ist, nicht vor ein normales Gericht gestellt werden. Seine Gattin Bernadette und seine Tochter Claude, die im Élysée-Palast als Beraterin tätig ist, sind von keinerlei Immunität geschützt. Sie können in der Reisegeldaffäre jederzeit vorgeladen werden.

Bereits in den vergangenen Jahren hatten sich mehrere Untersuchungsrichter vergeblich bemüht, Chirac als normalen Zeugen vorzuladen, um Licht in die zahlreichen Finanzaffären im Pariser Rathaus zu bringen, in dem er von 1977 bis 1995 residierte. Chirac lehnte eine Aussage stets ab. Er begründete das mit der französischen Verfassung. Als Staatspräsident, erklärte er, sei er zugleich Garant und oberste Aufsichtsperson über die Justiz, da könne er sich nicht vor einen Richter stellen. Das würde das Prinzip der Gewaltenteilung gefährden. In den Reihen der rot-rosa-grünen Regierungsparteien widersprechen nur eine Hand voll Hinterbänkler dieser Interpretation der Verfassung.

DOROTHEA HAHN