: Triebe oder Liebe
■ Proben für die Premiere im Innenhof des Altonaer Rathauses: Das Sommertheaterstück „Flötenzauber“ des Theater N.N.
Es ist stickig, die Luft zum Schneiden. Fetzen griechischer Musik werden von einem benachbarten Tanzstudio in den Raum getragen. Doch die Luft in dem kleinen Probenraum des Theater N.N. ist aufgeladen mit der Konzentration der Schauspieler. Am Rand der Bühne verteilen sich die bunten Kostüme auf Klappstühlen. Regisseur Dieter Seidel ist gleichzeitig Beleuchter und strahlt den weißen Leinenvorhang im Bühnenhintergrund an. Ein rotes Licht leuchtet auf. Dann betreten Andreas Schäfer als Mozart, Jens Wesemann als Schikaneder und Ingo Braun in der Rolle des Hasselbek den Raum.
Nachdem vom Klavier die ersten Töne des Morgenliedes vorgegeben wurden, setzen die Schauspieler ein: „Bald prangt, den Morgen ...“ „Oh, Scheiße“, unterbricht Ingo, „ich habe den Ton nicht“. Noch mal von vorne. Nach verschiedenen mehr oder weniger gelungenen Versuchen will Dieter Seidel mit der nächsten Szene weitermachen. „Die Sicherheit der Töne müssen wir noch üben“, findet er.
Der Regisseur probt schon seit neun Stunden. Die Schauspieler sind nach und nach dazugekommen. Allen sieht man den langen Probentag an. Am 12. Juli ist Premiere, und je näher der Termin rückt, desto länger werden die Proben. Für den Rest des Abends steht der zweite Teil des Stückes Flötenzauber auf dem Programm. Es geht um die Entstehungsgeschichte der Zauberflöte. Das Ensemble schlüpft in die Rollen der Zauberflöten-Urbesetzung, die gierig darauf wartet, mit Mozarts Musik und Emnauel Schikaneders Texten beliefert zu werden.
Das Stück wird im Innenhof des Altonaer Rathauses aufgeführt. „Natürlich können wir das hier nicht so proben wie draußen“, bemerkt Seidel. Und statt auf einem Baum sitzt Mozart deswegen auf einer wackeligen Metallleiter. Die Ensemble-Mitglieder, die eigentlich an den Fenstern zum Innenhof stehen sollen, drängen sich in den Ecken des Probenraums.
Die Schauspieler werfen sich Textfragmente zu: Aus „Männer welche Liebe fühlen“, macht Ute Büttner im Eifer des Gefechts „Männer welche Triebe fühlen“. Nach einer kurzen Lachpause geht es weiter. Bei Männern, Triebe, Liebe. Alle schnattern gekonnt durcheinander und das „Alltagsgequassel“ mündet in das Duett aus der Zauberflöte „Bei Männern, welche Liebe fühlen“. Hasselbek – Ingo Braun – sitzt während der Szene etwas verkrampft auf der Bühne und starrt auf seine blaue Textmappe. „Ingo, ich sehe nicht, was du da machst“, fährt Seidel ihn an, „wir proben hier szenisch und musikalisch“. Der Schauspieler lugt unter seiner gelben Schirmmütze hervor wie ein ertappter Schuljunge. Dennoch mag er sich auch beim nächs-ten Versuch noch nicht von seiner Mappe trennen. „Ich dachte, ich schreibe darin gerade den Text auf, den die anderen singen“, bemerkt er zaghaft. „Pack die Mappe weg, du willst doch nur schummeln“, ermahnt der Regisseur seinen Schauspieler. Betrübt legt Ingo seinen Ordner zur Seite und sucht sich ein anderes Notizbuch, in das er als Hasselbek die Texte Schikaneders umdichten kann.
Die Luft in dem kleinen Probenraum wird immer drückender. Das konzentrierte Arbeiten entzieht ihr den letzten Rest Sauerstoff. Gegen 21.30 Uhr werden zum ersten Mal die Fenster geöffnet. Die Schauspieler setzen sich nach draußen, in die Hallen des ehemals geplanten Kulturbahnhofs Altona, knabbern Kürbiskerne und rauchen. Die Pause ist kurz und wenig entspannt, eher wie ein Luftschnappen vor dem nächsten Untertauchen. Danach geht die Probe draußen weiter, wo die Schauspieler in der einbrechenden Dämmerung zu Schatten werden. „Es ist schon ganz schön anstrengend“, sagt Ute Büttner, „aber da müssen wir durch.“
Michaela Soyer
Flötenzauber hat am 12. Juli im Innenhof des Altonaer Rathauses Premiere; Kartenbestellung unter Tel.: 38 61 66 88.
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