: „Der Streit ist ein Ablenkungsmanöver“
Richard Stöss, Parteienforscher am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, meint, dass der Streit um den Neuwahltermin mangelnde Konzepte der Parteien verdecken soll. Alle Parteien sollen sich auf Inhalte konzentrieren
taz: Herr Stöss, was soll das momentane Wahltermingerangel?
Richard Stöss: Es geht um Startchancen im Parteienwettbewerb. Die CDU ist gut beraten, mehr Zeit für den Wahlkampf zu investieren. Sie muss einen relativ unbekannten Kandidaten positionieren. Außerdem entfällt der Amtsbonus. Umgekehrt will die SPD natürlich die Wechselstimmung nutzen und deswegen möglichst schnell wählen. Je mehr Gras über die Situation wächst, desto mehr kann auch die Stimmung zugunsten der SPD abflauen.
Erhöhen sich mit einem späteren Termin die Chancen für die CDU?
Ich bin skeptisch, dass Wahlen nur von Stimmungen und Personen abhängen. Für die Wähler ist es wichtig, zu wissen, was die Parteien wollen. Deswegen sind sowohl CDU als auch SPD gut beraten, die Zeit zu nutzen, um inhaltliche Konzepte vorzustellen. Bislang hat aber weder die CDU noch Rot-Grün eine konkrete Zielstellung formuliert. Mit klaren Konzepten sind die Mobilisierungschancen für alle Parteien besser.
Ist ein Monat Verlängerung für alle Beteiligten besser?
Ja, wenn sie die Zeit für Programmarbeit nutzen. Man wird jetzt versuchen müssen, mit ersten Ideen and die Öffentlichkeit zu treten, damit die Leute diese mit in die Ferien nehmen.
Und die Wahlen in Hamburg? Die könnten doch ganz unabhängig von politischen Inhalten das Berliner Wahlverhalten beeinflussen und zu Verlusten für die SPD führen.
Das stimmt. Es gibt sicher eine Menge Beispiele, dass es Folgen bei anderen Landtagswahlen hat, wenn eine Partei in einem Land einen schweren Einbruch erleidet. Aber die Ausstrahlungszeit ist nicht sehr lang. Wenn die Wahlen einen Monat später stattfinden, verblasst das wieder. Außerdem ist auch noch nicht klar, dass die SPD in Hamburg einen Einbruch erleidet.
Beide Parteien zeigen sich wenig kompromissbereit in dem Streit um den Termin. Worum geht es da eigentlich?
Ich habe das Gefühl, es ist ein Ablenkungsmanöver. Es wird davon abgelenkt, dass andere inhaltliche Konzepte noch nicht auf dem Tisch liegen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es bald einen Kompromiss gibt. Das halten die Parteien auch vor der Öffentlichkeit nicht durch.
Würde die SPD ihr Gesicht verlieren, wenn sie sich auf den 21. Oktober einließe?
Sicher, nachdem diese Frage so polarisiert worden ist. Eine Woche früher dürfte kein Problem sein. INTERVIEW: KATJA BIGALKE
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