: Sichtbar sonnige Stimmung
„Der deutschen Leichtathletik geht’s gut“, sagt ihr glücklicher Präsident nach den Titelkämpfen von Stuttgart. Und Clemens Prokop hat Recht damit. Einerseits. Andererseits aber ganz und gar nicht
aus Stuttgart FRANK KETTERER
Drei Tage hatte die Sonne geschienen über dem Schwabenland, und ganz offenbar waren die wohlig-warmen Strahlen auch an Clemens Prokop nicht spurlos vorübergegangen. So saß der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), demnächst hundert Tage im Amt, zum Abschluss der deutschen Leichtathletikmeisterschaften in Stuttgart hemdsärmelig da und war in sichtbar sonniger Stimmung. Den Grund für solch Wohlergehen wollte Prokop nicht für sich behalten. „Nicht nur Genugtuung, sondern Freude“ verspüre er nach den drei Tagen von Stuttgart, die allemal eindrucksvoll bewiesen hätten, dass „die Häme unzutreffend war“, die zuletzt über die deutsche Leichtathletik ausgegossen wurde. In die Krise sei diese gerutscht, hieß es, was der Präsident nun heftig dementierte: „Der deutschen Leichtathletik geht’s gut“, stellte Prokop ein letztes Mal fest, gerade so, als werde der Satz von Mal zu Mal wahrer, je öfter man ihn wiederholt.
Ganz falsch ist er ja jetzt schon nicht, nicht nach diesen Meisterschaften, bei denen es, bis auf ganz wenige Ausnahmen, nahezu nur positive Überraschungen gab, vor allem bei den jüngeren Athleten. „Wir haben einen wesentlichen Schritt nach vorne gemacht, weil viele junge Athleten ihre Chance genutzt haben“, meinte denn auch Rüdiger Nickel, der für den Leistungsport zuständige Vizepräsident im DLV, noch während draußen im Gottlieb-Daimler-Stadion tosender Applaus aufbrandete, weil Annika Becker, Jahrgang 1981 und von der LG Rotenburg-Bebra, im zweiten Versuch 4,55 Meter überquert und damit einen neuen deutschen Rekord im Stabhochsprung aufgestellt hatte, gleich fünf Zentimeter über dem alten von Nicole Humbert (Landau), nur fünf Zentimeter unter dem Europarekord der Russin Swetlana Feofanowa – und sagenhafte 14 Zentimeter über ihrer bisherigen persönlichen Bestleistung.
In erster Linie AthletInnen wie Annika Becker waren es, die die deutschen Meisterschaften 2001 positiv prägten: Jung, wild, unerschrocken – und auf dem besten Weg. So wie Tim Goebel (19), der letztes Wochenende noch das Bestehen seines Abis gefeiert hatte und in Stuttgart deutscher Meister in 10,21 Sekunden über 100 m wurde. Oder wie Sina Schielke, 20 Jahre alt und von der LG Olympia Dortmund, jeweils Dritte über 100 (11,25 Sekunden) und 200 m (23,04), die sich selbst auf der Tartanbahn bewegt wie ein Model. Den Hinkucker hat sie sich mit drei Tattoos gleich in die Haut einritzen lassen, nur unwesentlich über dem Po, der deshalb zum meistgefilmten und fotografierten Körperteil dieser Meisterschaften geworden sein dürfte. Oder wie die fliegende Boygroup um Danny Ecker (23), die bereits am Samstag beim Stabhochsprung der Männer eine für deutsche Meisterschaften einmalige Show geboten hatte, bei der gleich fünf Springer über 5,80 m gekommen waren. Oder wie Gabi Rockmeier (Dortmund), mit 28 Jahren zwar nicht mehr ganz so jung, dafür aber um so schneller: Sieg über 100 m in persönlicher Bestzeit (11,17 Sekunden), Sieg über 200 m in europäischer Jahresbestzeit (22,68) und Sieg mit der Dortmunder 4 x 100-m-Staffel (42,99). Das kann sich sehen lassen.
Kann es wirklich. Einerseits. Andererseits kann es nicht darüber hinwegtäuschen, dass „die jungen Wilden“, so das Fachmagazin Leichtathletik, bei der Anfang August anstehenden Weltmeisterschaft im kanadischen Edmonton, den Stabhochsprung bei Männern wie Frauen einmal ausgenommen, kaum für größere Aufregung sorgen werden, geschweige denn für Medaillen. „Wir haben keine Krise“, formuliert der DLV-Generalsekretär Frank Hensel, „wir haben vielleicht ein akut verstärktes Problem im Moment, gerade in der Spitze, auch durch die vielen Verletzungen.“ In Edmonton, wohin der DLV nun doch ein rund 70-köpfiges Aufgebot entsenden will, werden also die altgedienten Athleten die Kastanien aus dem Feuer holen müssen, die nicht selten und kaum zufällig noch dem Sporterbe der DDR erwachsen sind: Grit Breuer (Magdeburg), die mit 49,78 Sekunden über 400 m WM-Form bewies, Lars Riedel (Chemnitz), der auf seine Siegweite von 67,28 m bis zur WM noch gut einen Meter draufpacken will, Heike Drechsler (Karlsruhe), die zwar mit ihrem achten nationalen Titelgewinn zufrieden war, nicht aber mit der Weite von 6,65 m, oder Oliver-Sven Buder (Ingolstadt), der das Kugelstoßen mit 19,97 m gewann und sicher noch ein paar Zentimeter rausquetschen kann. Noch kann der DLV sich auf diese Athleten verlassen. Noch sind in erster Linie sie es, die die Krisenstimmung in Grenzen halten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen