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Königin Dagmar hat echt Böses vor

Anspielungstheater wie in den guten, alten DDR-Zeiten: Alexander Langs rhetorischer Agent „Hamlet“ in Weimar

Im kleinen Weimar weiß man derzeittatsächlich wieder,wo der Feind sitzt

Immer wenn Ophelia überfordert ist, singt sie. Blond, blauäugig und – wahrhaftig – ein bisschen doof, tritt sie dann an den Bühnenrand und singt ihr Liebeslied. Von Hamlet. Einmal mehr holte Weimars neuer Intendant Stefan Märki am vergangenen Wochenende das Musiktheater auf die Bühne: Nach seinem „Faust“-Erfolg mit dem singenden Tragödien-Chor jetzt also Franziska Gottwald, die Opernsängerin, als Ophelia. Und Claudius (Hagen Oechel) ist hingerissen. Jawohl, diesem Mehrsparten-Theater schenkt er seinen Glauben. Seht selbst, so denkt der falsche König: So einfach könnte alles sein – Ophelia singt, wenn sie spricht, und wenn sie spricht, dann singt sie die reine Wahrheit.

So einfach aber ist das natürlich nicht. Regisseur Alexander Lang, mit „Hamlet“ am Deutschen Nationaltheater – spät – ins heimische Thüringische zurückgekehrt, ist ein Vertreter alter Schauspielkunst. Mit einer Geste wischt sein rüder Junge Hamlet (Felix Rech) Ophelias Musiktheater von der Bühne: Nein, Puppe, so simpel ist das politische Handwerk nicht! Selten hatte Hamlet so ein schmunzelndes Publikum wie am Wochenende in Weimar. Es war wie in den guten, alten Zeiten des DDR-Anspielungstheaters, dem Alexander Lang hier nochmals spöttisch seine Referenz erweist.

Denn im kleinen Weimar weiß man derzeit wieder, wo der Feind sitzt: bei der Macht natürlich, drüben in der preußisch-mainzerischen Landeshauptstadt Erfurt. Dort nämlich hat die Königin Kunstministerin Dagmar Schipanski Böses vor. Eine Zusammenlegung der beiden großen mittelthüringischen Theater – derzeit noch euphemistisch „Kooperation“ genannt – bei gleichzeitiger Spartentrennung: das Musiktheater und die Staatskapelle will sie nach Erfurt überführen, sodass Weimar nur noch das Schauspiel bleibt.

Während hinter den Kulissen eifrig darüber verhandelt wird, mobilisiert der wehrhafte Schweizer Regisseur Stefan Märki als Weimars neuer Intendant alle Kräfte auf und vor der Bühne. Erst den Weimarer Faust, jetzt Freund Hamlet. „Sparen, sparen, sparen!“, tönt es da bitter von der Bühne. Woher das Böse kommt, wissen selbst die falschen Freunde Rosenkranz und Güldenstern allzu genau. Warum, fragt sie Hamlet, warum streifen die Schauspieler im Land umher? „Das rührt von den neuerlichen Fusionen“, erklären die Herren unter grauen Zylindern. Da gluckst das Publikum zufrieden.

Doch das Spiel ist ernst, und das Gespann Märki/Lang ist sich dessen bewusst. „Das Schauspiel sei die Schlinge“, fordert Hamlet, und ganz in diesem Sinne instrumentalisieren sie die Bühne für ihren Widerstand. Es heißt, auf der Hut zu sein: Schließlich gibt es auf Shakespeares politischer Bühne „im Staate Dänemark“ nach dem Mord am alten König umgehend genügend Regisseure, die das Geschehen nun in ihrem – nicht eben dem besten –Sinne leiten wollen. Polonius ist der Erste von ihnen. Seine Tochter Ophelia als künftige Königin von Dänemark? Über diese Möglichkeit verliert selbst der durchtriebene Intrigant auf seine alten Tage noch die Contenance und verheddert sich ganz wunderlich im höfischen Gestenspiel. Wild streift er durch die Kulissen, die sich in Weimar als ein leuchtendes Labyrinth tief ins Bühnenhintere auftun. Doch vorn auf der Bühne, wo der Minotaurus haust, verliert sich sein Regietalent. Im Zentrum der Herrschaft, so scheint’s in diesem „Hamlet“, läuft die politische Kunst ins Leere.

Selbst der Geist des alten Königs ist nur ein Gespenst, ohne symbolische Macht über den Tod hinaus. Der junge Hamlet erfährt dies am eigenen Leib. Er wehrt sich. Er ist einer von heute: Der Geist beeindruckt ihn nicht, wohl aber das Spiel der Rede. Es sind die eigenen Worte, die den jungen Hamlet ins politische Spiel hineinreißen. Nichts mehr passiert hier im Namen des toten Vaters. Mit dem Einsatz der Rede beginnt schon ihre Aneignung. Das ist wunderbar, wie Alexander Lang hier mit einfacher Bühnenrhetorik die kurze Verzögerung zwischen der Rede des anderen und der eigenen inszeniert: Zwei Sätze, drei Sätze des großen Monologs – heruntergerattert und mit Szenenapplaus aus dem Publikum bedacht – dann stutzt der Prinz: „Sein oder nicht sein?“ – Jawohl! Das ist wie zum allerersten Male die Frage! Aus Hamlet, der Figur des ewigen Zögerers, des Melancholikers, wird so auf der Weimarer Bühne ein Agent der eigenen Rede. Ein junger Mann, der nur noch der eigenen Performanz gehorcht. Felix Rech ist kein großer Schauspieler, doch das Publikum verabschiedet ihn mit anhaltenden Bravo-Rufen. Aber das ist vielleicht wieder nur Politik.

FRITZ VON KLINGGRÄFF

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