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„Quäl dich, du Sau!“

„Ich versichere Ihnen, dass man die Tour de France auch ohne Doping fahren kann“

Interview: FRANK KETTERER

taz: Herzlichen Glückwunsch, Herr Bölts.

Udo Bölts: Danke. Obwohl man ja normalerweise erst nach dem Rennen gratuliert.

In Ihrem Fall darf man da bestimmt eine Ausnahme machen: Zehn Mal bei der Tour de France zu starten – warum tut sich ein Mensch das an?

Weil es mein Beruf ist. Und weil die Tour de France der Höhepunkt im Berufsleben eines Radprofis ist. Das ist wie eine Sucht. Zum Beispiel das Gefühl, das man hat, wenn man nach drei Wochen über die Ziellinie auf den Champs Elysée fährt: Da ist man einfach nur noch stolz, dass man es geschafft hat, dass man die Tour und auch sich selbst bezwungen hat, gerade weil es sich dabei um das schwerste Radrennen handelt, das es gibt.

Mit zehn Tour-Teilnahmen rücken Sie nun in einen exklusiven Zirkel auf.

Na ja, das kann man schon so sagen. Joop Zotemelk war 14 Mal dabei und davon sieben Mal Zweiter sowie einmal Sieger. Danach kommen dann schon Alberto Elli und Guido Bontempi mit je zehn Tour-Teilnahmen. Und jetzt eben auch ich.

Sie haben noch nie ein gelbes oder grünes Trikot getragen und noch keine Etappe gewonnen, dennoch genießen Sie große Popularität. Wie erklären Sie sich das?

Das kommt wahrscheinlich durch die Arbeit, die ich für Jan Ullrich und für Erik Zabel gemacht habe. Und vielleicht durch meinen neunten Platz im Gesamtklassement und meinen dritten Platz auf der Bergetappe nach Alpe d`Huez 1994, zu Zeiten also, in denen das Team Telekom noch nicht Siege am laufenden Band ablieferte.

Sie sind der Mann, der Jan Ullrich 1997 mit drastischen Worten zum Tour-Sieg getrieben hat. „Quäl dich, du Sau!“ sollen Sie ihm damals zugeraunt haben, als er bei einer Bergetappe in den Vogesen Schwächen zeigte und es kurz so schien, als könne er die Tour noch verlieren.

Ja, das hab ich wohl zu ihm gesagt. Wobei das natürlich nicht böse gemeint war, sondern mehr so aus Reflex. Wenn ich mit anderen trainiere, fällt so ein Spruch schon mal. Dass das hinterher so durch die Medien ging und immer noch geht, hat mich selbst überrascht.

Andererseits spricht es eine Qualität an, die ein Tour-Fahrer schon mitbringen muss: Sich quälen können. Welche Rolle spielt dieser Faktor?

Wer sich nicht quälen kann, wird die Tour nie überstehen. Das fängt spätestens nach dem zwölften oder dreizehnten Tag an, wenn man morgens aufsteht und ums Verrecken nicht mehr aufs Rad will oder kann. Zumal man nie weiß, ob man die Tour auch durchsteht. Ein schlechter Tag, eine kleine Krankheit können schon dazu führen, dass man zwei, drei Tage später mit den Kräften am Ende ist.

Sie quälen sich vor allem für ihre Mannschaft, beziehungsweise ihren Mannschaftskapitän Jan Ullrich, der anschließend den ganzen Lorbeer einsammelt und fett dotierte Werbeverträge unterschreibt. Wie muss man als sogenannter Wasserträger gestrickt sein?

Man muss eigene Ambitionen total zurückstellen oder sie, noch besser, erst gar nicht haben. Als Wasserträger muss man abends glücklich und zufrieden sein, wenn man den Job, den man von der Teamleitung bekommen hat, gut gemacht hat. Wenn man seinen Kapitän gut aus dem Wind genommen hat und wenn der Kapitän abends zu einem sagt: Du hast gut für mich gearbeitet. Wenn man das richtig macht, bleibt für eigene Ambitionen, zum Beispiel einen Etappensieg, gar keine Kraft mehr.

Wie sehr ist das Selbstaufgabe?

Ein bisschen schon. Aber in dem Moment ist es einfach mein Job. Da gibt es kein wenn und aber, im Sport schon gar nicht: Wenn eine Strategie festgelegt ist, dann ist sie fest.

Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu Jan Ullrich?

Es ist nicht so, dass wir ein ganz enges Verhältnis zueinander hätten, schon weil er ein paar Jährchen jünger ist und außerhalb des Radsports wohl ganz andere Interessen hat als ich. Aber er weiß, dass er sich bei der Arbeit auf mich verlassen kann. Ich glaube, wir haben eine ganz gesunde Freundschaft.

Zumal Sie als der heimliche Chef im Telekom-Team gelten.

Nee, ich habe da keinerlei Ausnahmestellung, außer der vielleicht, dass der Sportliche Leiter weiß, dass es manchmal sicherer ist, einen etwas erfahreneren Rennfahrer dabei zu haben, der keine eigenen Ambitionen hegt.

Wenn schon nicht heimlicher Chef, wie wär‘s mit Edeldomestike?

Ich finde, dass jeder im Team wichtig ist, egal ob Kapitän, Edeldomestike oder einfacher Helfer.

Was ist der Unterschied zwischen einem Edeldomestiken und einem einfachen Helfer?

Ein normaler Helfer holt Wasser für Ullrich und Zabel und hilft auch sonst in jeder Situation. Ein Edeldomestike hingegen ist nur für Ullrich da.

Und bekommt vom normalen Helfer das Wasser mitgebracht.

Ja, so ungefähr.

Wenn Zabel das Grüne oder Ullrich das Gelbe Trikot gewinnen – wieviel von diesem Sieg gehört gefühlsmäßig Ihnen?

Der Anteil ist nicht so furchtbar groß. Die Hauptarbeit macht der betreffende Rennfahrer ja schon selbst, in den Bergen oder im Zeitfahren, wo die Tour entschieden wird. Wenn‘s am letzten Berg um die Wurst geht, ist Ullrich ganz alleine, da kann ihm keiner mehr helfen.

Telekom hatte zwölf Fahrer, die für eine Tour-Teilnahme in Frage kamen, aber nur neun Plätze zu vergeben. Wie groß ist da der mannschaftsinterne Konkurrenzkampf?

Der ist hart, auch wenn das nach Außen vielleicht nicht so deutlich wird. Bei der Tour de Suisse, wo Telekom seine Selektion macht, wird an jedem Berg gefightet, auch gegen den eigenen Mannschaftskameraden.

Als Zuschauer wie als Journalist ist man beim Radsport mehr denn je im Zwiespalt: Dopt ein bestimmter Fahrer oder dopt er nicht? Wie handhaben Sie das? Sind Sie auch misstrauisch?

Überhaupt nicht misstrauisch zu sein, wäre blödsinnig. Es sind ja tatsächlich Dinge vorgefallen. Ich glaube, die Lösung des ganzen Problems wäre es, seine eigenen Möglichkeiten realistisch einschätzen zu können und mit ihnen dann auch zufrieden zu sein. Und ich kann Ihnen hundertprozentig versichern, dass man die Tour de France absolut ohne Manipulation fahren kann – und zwar ganz gut.

Die Razzien beim Giro d‘Italia haben da aber einen ganz anderen Eindruck hinterlassen.

Man muss relativieren, was wirklich vorgefallen ist und was nichts. Es gab da ja Meldungen, nach denen gegen 80 Rennfahrer ermittelt wurde, dann waren es plötzlich wieder nur noch fünf. Da muss man nach wie vor den Abschlussbericht abwarten. Die Dopingmittel, die aber bei Daniel Frigo gefunden wurden, braucht man nicht schön zu reden. Das ist passiert und war mal wieder ganz, ganz schlecht für den Radsport und für sein Image.

„Man muss eigene Ambitionen zurückstellen oder sie gar nicht erst haben“

  Wie man den Missbrauch von neuen Dopingprodukten, die durch Kontrollen noch nicht nachzuweisen sind, verhindern könnte, darauf weiß ich auch keine Antwort. Da war ich auch nur noch schockiert.

Hat der Radsport seit der Skandaltour von 1998 denn gar nichts dazugelernt?

Doch. Aber ganz in den Griff wird man das Problem wohl nie bekommen. Es gibt ja auf der ganzen Welt auch Kriminalität, obwohl man in den USA die Todesstrafe zur Abschreckung hat. Der Sport ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und in dieser Gesellschaft ist Betrug Gang und Gäbe, egal ob bei der Steuer oder sonstwo: Jeder versucht sich ein bisschen krumm zu machen.

Wie begegnen Sie Kollegen wie Alex Zülle vom Team Coast, der bei der Skandal-Tour 1998 bei den Dopingsündern war und dies auch später zugegeben hat?

Ich habe eine sehr hohe Meinung von Alex, weil ich finde, dass er ein ehrlicher Typ ist. Er hat seine Fehler eingestanden und seine Schuld – und damit ist die Sache für mich vergessen.

So kann der Radsport seine Glaubwürdigkeit aber kaum zurückgewinnen.

Das Prozedere, das die Rennfahrer mittlerweile über sich ergehen lassen, wird ja gar nirgends richtig rübergebracht. Ich wurde in diesem Jahr zum Beispiel allein schon drei Mal per Blutkontrollen getestet, die es in keiner anderen Sportart gibt. Aber man sieht nach wie vor die Sünder und nicht, dass 990 andere Woche für Woche getestet werden und dass die sauber sind.

Aber durch die schwarzen Schafe kommen auch Sie in Verruf. Wie machen Sie da glaubhaft, dass Sie keine unerlaubten Mittel nehmen?

Ich bin dieser Sache mittlerweile überdrüssig. Entweder es glaubt mir jemand, dass ich nichts nehme – oder er lässt es bleiben. Mehr sag ich dazu nicht mehr. Ich bin es müde, ständig irgendjemand überzeugen zu müssen.

Wer gewinnt die diesjährige Tour de France?

Hhmm... tja... Jan Ullrich! Weil er in der dritten Woche einfach der stärkste Mann ist.

Und wo landen Sie?

Hoffentlich im Ziel.

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