: Das feuerrote Spielmobil
DER taz-SOMMERROMAN (Folge 1) : Dr. Heinrich (45, Die Grünen) wird Ministerialrat im Umweltministerium. Euphorisch kommt er ins Gysi-fiebrige Berlin. Seine Aufgabe: Arbeit an der Biomasse-Verordnung. Sein Ziel: Vereinigung mit dem Osten. So oft wie möglich
Heftig, diese vielen Treppenstufen, das gab es in Bonn nicht, im Tulpenfeld, endlos schraubt sich das nach oben! Eine Zumutung für einen älteren Herren, auch wenn er im Kopf noch jung ist. Let’s go party – wahrscheinlich grillen sie auf dem Dach, die Altbau-Freaks hier in Berlin.
Sechster Stock. „Mitte“ geht ja noch, vieles nagelneu, aber wie heißt das hier: Schöneberg. Mal sehen. Hauptsache, sie haben nichts gegen einen freundlichen Sexisten. Apropos: Schlechter Sex lag in der Luft in Berlin.
Die Single-Gesellschaft entpuppte sich vor meinen erwartungsfrohen Augen seit Wochen als eine versprengte Truppe von Verzagten, Geächteten und Entrechteten, wie früher der Flüchtlingsverband unter Adenauer. Dabei machten wir, die Grünen, noch eine vergleichsweise gute Figur.
Jedenfalls ist die Hauptstadt endlich politisiert, was mir gefällt. Stell dir vor, du gehst auf eine Party, und alle reden von Gysi. Ist doch toll! Und am Ende schleppst du ’ne Ostbraut ab und redest weiter über Gysi, zwischen den Orgasmen.
Das nenn’ ich Lebensqualität.
Und hier sah ich sofort eine besonders herbe Ostbraut, mein lieber Schwan! Meine Laune stieg schlagartig auf 90 Grad. Leider saß sie neben einer kreativen Laberbacke, die hörte nicht auf: „. . . kleine Ausstellung, ’ne Performance von japanischen Künstlern in Amerika, in Anwesenheit der ganzen japanischen Botschaft und so, ich mach ja kulturelles Outsourcing. Eigentlich bin ich Theaterregisseur . . .“ Ja ja, ein kultureller „Macher“, die übelste Sorte Mensch in der Hauptstadt, weil vollkommen positionslos. Also charakterlos. Er laberte weiter. „. . . am Donnerstag ist so eine Galaeröffnung und . . .“
Und er wollte sie dabeihaben, die Ostbraut, das feuerrote Spielmobil. Teufel auch!, 39 Jahre und ein Lara-Croft-Tank-Top, allerdings aus schwarzer Spitze, mehr Britney Spears als Lara Croft (für die Fachleute unter Ihnen), scharf geschnittenes Gesicht, mächtige glatte, wie gesagt, feuerrote Haare, Löwenmähne wäre eine Untertreibung, herbe, dunkle Stimme, bretterndes Zarah-Leander-Lachen, Kettenraucherin, Alkoholikerin – aber gegen die Laberbacke konnte ich nicht an, erst mal.
Jo, des is bisness.
Tja, aber was hatten wir denn da noch im Angebot? Ha! Das war sicher die Gastgeberin. Und garantiert auch aus dem Osten, wo ja zurzeit fast der gesamte sexuelle Nachschub rekrutiert wurde. Künstlich gestärkte Rotkäppchenfrisur, leuchtende, blau strahlende, kreisrunde Puppenaugen. Aber nett. So spacig. Die kam direkt vom Raumschiff Enterprise. 60er-Jahre-Originalteile, ohne TÜV, aber schmuck. Undefinierbar zwischen 25 und 40 Jahre alt.
Allerdings hatte sie so derart ungelenke Bewegungen, dass ich lieber mit Ludger über Sozialismus und Sexualitätsvernichtung diskutiert hätte als ihr weiter zuzuschauen.
Ludger kennen Sie sicher aus dem Fernsehen. Mein einziger „Freund“ hier in der neuen Stadt. Eigentlich finde ich ihn schrecklich. Aber ich mag ihn, wir sind schon im Kindergarten ein Paar gewesen. So ist das im Leben. Zum Glück hatte sich das Spielmobil nun freigerappelt.
Hello, Cowgirl in the sand! Schwarzer Rock, Stiefel darunter, das rechte Bein weit ausgestellt, Blicke aus den Augenwinkeln. Jetzt spielt sie „playin’ hard to get“. Klar will die mit so einem subkutanen ältlichen Beamten wir mir (Ministerialrat im Umweltministerium) nichts zu tun haben. Viel zu attraktiv. So sind die Marktgesetze, Alter!
Ich spreche sie trotzdem an, gerade deswegen. Aha, Sängerin in einer Girlie-Band. Ist ja mutig. In dem Alter. Am liebsten singt sie altes deutsches Liedgut. Bei den Großeltern aufgewachsen, die haben das heimlich im Keller gehört. Schließlich sagte sie mit ihrer John-Wayne-Stimme: „Ey, Mann du, ich hab das Gefühl, du willst mich anbaggern!“ Ich war perplex. Äh ...? Was denn sonst eigentlich? Dann sagte sie das Zauberwort: MEIN FREUND.
Ich sprang erst mal weg. Ludger war gekommen, er saß am Tisch mit acht Fremden, alle diskutierten sie sehr ruhig und ehrbar über Gysi. Ganz anders als in den hektischen Talkshows. Ich dachte: Bis zum Wahltag krieg’ ich die Ostbraut locker rum. Irgendwann muss man die Mauern einreißen, die Vereinigung herbeiführen. Ich robbte mich wieder an sie ran. Fragte, ob ich sie später nach Hause fahren solle. So kam es auch, aber bei ihr stritten wir uns, ob ich in ihrem Bett schlafen dürfe. Ich bestand darauf. Wir waren betrunken, ich textete sie zu wie vorhin Laberbacke. Ich betatschte sie endlich. Da klingelt das Telefon, der FREUND ist dran, spät nachts um halb drei. Kündigt seinen Besuch für den nächsten Morgen an. So was Dämliches. Die Stimmung dahin. Den Faden verloren. Ich habe nur den Kopf geschüttelt. In Bonn lief das anders.Fortsetzung folgt.
JOACHIM LOTTMANN ist Schriftsteller („Deutsche Einheit“)
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