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Den Zustand tanzbar machen

■ Es ging um Körperbewegungen musikgeschichtlichen Ausmaßes, darum, das Zelt zu rocken: Marc Ribot Y Los Cubanos Postizos und Rae & Christian beim Jazzport

In Zeiten der Krise zählt jeder Versuch, dem drohenden Unheil noch ein Moment von Unterhaltung abzugewinnen, den Zustand tanzbar zu machen; in dieser Figur hat die moderne Popkultur ihren Ursprung. Ihr geschichtlicher Ausdruck ist die Mode, „die ewige Wiederkehr des Neuen“, wie Walter Benjamin in seinem Buch über den Dichter Baudelaire und das Paris des 19. Jahrhunderts notierte. „Gibt es trotzdem gerade in der Mode Motive der Rettung?“ Benjamins Frage steht in einem Abschnitt, der mit „Zentralpark“ überschrieben ist und folglich nach New York führt.

Ein Jahrhundert später entsteht hier Salsa our latin thing, die Musik der Latino-Americanos. Und in der Knitting Factory konzentriert sich eine Avantgardejazzszene, zu der auch Gitarrist Marc Ribot gehört. Latin und Salsa erleben derzeit ihre große Mode, befriedigen die Vergnügungssucht; vor dem Jazzportzelt sollen leichtbekleidete TänzerInnen das Publikum ruhig halten: Organist Anthony Coleman steckt in Palermo fest, das Konzert wird um Stunden verzögert.

Als dann endlich Ribot Y Los Cubanos Postizos vollzählig sind, verraten schon die ersten Akkorde, wie im Sinne der Rettung mit dieser musikalischen Mode umzugehen sei: „Zum Bilde der Rettung gehört der feste, scheinbar brutale Zugriff.“ Ribot zerhackt, sprengt, verfremdet die Musik, die er als Jazzer wie Standards benutzt – es sind zum Teil Werke des kubanischen Entertainers Arsenio Rodriguez aus den Fünfzigern. Postizo heißt falsch, nachgemacht. Coleman, Brad Jones (b), E. J. Rodriguez (perc) und Roberto Rodriguez (dr) karikieren hier nicht nur die Kuba-Mode, sondern offenbar auch die Klischees des Jazz.

Man kennt es von der Kleidermode: erst das Nachgemachte beweist die Falschheit des Originals. Die Fälschung muss ja viel genauer gearbeitet sein, um nicht aufzufallen – das Publikum merkt leider erst zu spät, dass es hier nicht um das prüfende Zuhören der Jazzliebhaber mit verschränkten Armen geht, sondern um Körperbewegungen musikgeschichtlichen Ausmaßes, darum, das Zelt zu rocken.

Das war vielen aber auch schon beim Opener Rae & Christian sus-pekt, die schließlich sogar mit der unterstützenden Einlage von Deichkind alles unternahmen, das verstaubte Publikum, das wohl lieber belehrt werden wollte, zu amüsieren; sie hatten es auch schwer, sich technisch mit ihren Soulteppichen gegen die schlechte Zeltakus-tik durchzusetzen. Glücklicherweise half dann auch nicht die schlechte Animationspropaganda weiter: „Somebody told me that Germany is funky.“ Nein, Deutschland ist nicht funky, und funky ist mitnichten irgendetwas Deutsches. Roger Behrens

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