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Die Geschichte des Junkies wollen alle

Seit seinem Drogen-Outing vor einem Jahr ist der Triathlet Andreas Niedrig ein ziemlich bekannter Mann. Gestern, beim Ironman im fränkischen Roth, machte der 34-Jährige aber endlich wieder sportlich von sich reden: mit Platz zwei

ROTH taz ■ Manchmal, in ruhigen Stunden, fragt sich Andreas Niedrig: Ob es gut so war, wie er umgegangen ist mit sich und seiner Vergangenheit, die keine schöne ist und die er dennoch ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt hat. Meist kommt Niedrig dann zu dem Schluss, dass er gar keine andere Wahl hatte, als das zu tun, was er tat: sich zu bekennen zu seiner Drogensucht von einst, die ihn vor gut zehn Jahren in die Gosse getrieben hatte und beängstigend dicht an den Rand des Lebens.

„Es ist einfach immer enger geworden für mich“, sagt der 34-Jährige aus Oer-Erkenschwick, weil immer öfter, wenn etwas von seinen sportlichen Erfolgen in den heimischen Zeitungen stand, dort auch zu lesen war, dass er, der erfolgreicheTriathlet, früher einmal ein „ganz anderes Leben“ geführt habe. „Meine Tochter Jana war damals zwölf, und ich wollte nicht, dass sie es von anderen erfährt“, sagt Niedrig heute. Auch deshalb ist er in die Offensive gegangen und hat sich geoutet, zuerst vor seiner Tochter, dann in Janas Schule bei einem Elternabend, und schließlich republikweit mit einem Buch, in dem bis ins kleinste Detail nacherzählt wird, wie er „vom Junkie zum Ironman“ wurde.

Ziemlich genau ein Jahr ist es nun her, dass dieses, PR-geschickt flankiert von einer großen Exklusiv-Story im Spiegel, auf den Markt kam und ihn zum bekanntesten Drogensüchtigen seit Christiane F. hat werden lassen. Niedrigs Geschichte sei „eine der bemerkenswertesten, die man im Sport je gehört hat“, konstatierte selbst die Süddeutsche Zeitung – und auch die anderen Medien waren geil darauf, sie nachzuerzählen.

„Die wollten mich alle haben“, sagt Niedrig, und nicht wenige haben ihn auch bekommen: Rund 20 Fernsehreportagen wurden seither mit und über ihn gedreht, in gut zehn Talkshows ist er aufgetreten, kaum eine Zeitung oder Zeitschrift, die nicht abgedruckt hätte, wie Niedrig von der Drogentherapie direkt durchgestartet ist zum Triathleten von Weltklasseformat, der unter anderem zwei Mal Dritter geworden war beim Ironman Europe im fränkischen Roth, bei dem Niedrig auch gestern wieder an der Ziellinie stand und Zweiter wurde.

Manchmal, gar nicht so selten, wird der 34-Jährige gefragt, ob er es hin und wieder nicht schon bereut habe, sich und sein Schicksal so öffentlich gemacht zu haben. Eine Antwort darauf zu geben, findet Niedrig „gar nicht so leicht“, mittlerweile hat er sich auf ein Unentschieden geeinigt; „teils, teils“, so formuliert er das. Natürlich hat er eine Menge positive Resonanz erfahren, zum Beispiel in Briefen, in denen Menschen, die auch in Not sind oder es waren, ihm schreiben und ihn wissen lassen, dass er Motivation für sie sei und Vorbild. „Darüber freue ich mich natürlich“, sagt Niedrig, ebenso wie über all die Anfragen, die er hat von Schulen und Drogenberatungsstellen, die ihn einladen, damit er einmal leibhaftig von seinem Schicksal erzählen kann und warnen vor den Drogen und wie schnell einer ganz unten ankommen kann, so wie es bei ihm der Fall war. Rund 30 Mal hat Niedrig so etwas bisher gemacht, meist ist dabei allerdings ein schaler Nachgeschmack bei ihm zurückgeblieben.

Das ist der zweite Teil des „Teils, teils“: Dass Niedrig immer mehr das Gefühl bekommen hat, dass er denen, die Hilfe nötig haben, nicht wirklich helfen kann mit einem kurzen Vortrag und ein paar warmen Worten. Dieser Aspekt aber ist ihm wichtig, und schon deshalb störe ihn vehement, sagt Niedrig, dass seine Geschichte von anderen, in erster Linie vom Buchautor, der sie aufgeschrieben hat, zu einem nicht unerheblichen Teil kommerzialisiert werde.

„Ich gehe nicht in Schulklassen, um das Buch zu verkaufen“, sagt Niedrig, „und ich habe ein Problem damit, wenn Schulen Geld dafür bezahlen müssen, dass ich zu ihnen komme und einen Vortrag oder eine Lesung halte.“ Dass Jörg Schmitt-Kilian, besagter Autor, solches tut, sagt Niedrig nur indirekt; dass das Verhältnis zwischen den beiden deutlich abgekühlt ist, gibt er hingegen offen zu.

Wobei natürlich auch Niedrig profitiert vom Buch und all dem Wirbel, der darum und um ihn veranstaltet wird, das will er gar nicht leugnen: Fünf Prozent vom Preis jedes verkauften Exemplars erhält er, was sich bei bisher an den Mann gebrachten 20.000 Stück zu einem ganz hübschen Sümmchen addiert hat, zumal man beim Verlag längst von einem „Longseller“ spricht, von dem wohl auch in Zukunft noch das eine oder andere Exemplar verkauft wird. Viel wichtiger für den Triathleten aber ist, dass er eben durch die republikweite Bekanntmachung seiner Drogenvergangenheit endlich einen Sponsor gefunden hat, der ihm das Leben als Vollprofi erlaubt. Seinen Job als Orthopädiemechaniker hat Niedrig Ende letzten Jahres jedenfalls an den Nagel gehängt. Seither kann sich der 34-Jährige noch besser seinem Sport widmen, vor allem an seinen Schwächen, dem abschließenden Marathon, hat er gefeilt.

Natürlich weiß der Familienvater, dass die Menschen und also auch sein Sponsor sich in erster Linie für seine Vergangenheit interessieren und ihn auf der Straße oder am Flughafen mittlerweile erkennen, weil er mal ein Junkie war und nicht etwa, weil er ein verdammt guter Triathlet ist. Manchmal, in ruhigen Stunden, bedauert Andreas Niedrig das. FRANK KETTERER

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