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Krise in Zagreb

Die kroatische Regierung will zwei mutmaßliche Kriegsverbrecher nachDen Haag ausliefern. Die Bevölkerung ist in dieser Frage tief gespalten

aus Split ERICH RATHFELDER

Die sozialliberale kroatische Regierung könnte in den nächsten Tagen stürzen. Anlass ist der Konflikt um die Auslieferung von zwei kroatischen Generälen an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Vier Minister der Sozialliberalen Partei HSLS sind unter Protest zurückgetreten. Premierminister Ivica Racan kündigte an, im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Gelingt es dem Sozialdemokraten und seiner aus bisher fünf Parteien gebildeten Regierung nicht, die Mehrheit der Stimmen zu erhalten, müssen Neuwahlen ausgeschrieben werden.

Die Entscheidung der Regierung, zwei mutmaßliche Kriegsverbrecher an Den Haag auszuliefern, wurde mit 19 der 22 Stimmen im Kabinett beschlossen. Nach dem Besuch der Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte vorige Woche in Zagreb, sei ein Beschluss in dieser Hinsicht notwendig geworden, erklärten Regierungssprecher. Kroatien hätte sich isoliert, würde es nach der Auslieferung Milošević’ durch die serbische Regierung den Wünschen Den Haags zuwiderhandeln, hieß es in Zagreb.

Doch gegen diese „Erpressung“ wird innenpolitisch Druck gemacht. Nicht nur die Veteranenverbände kündigten Aktionen gegen die Auslieferung der beiden Generäle an. Ihre Namen wurden nicht offiziell bekannt gegeben, da sie auf der geheimen Liste des Tribunals stehen. Auch die ehemalige Regierungspartei HDZ und andere rechtsradikale Gruppierungen wollen die Auslieferung verhindern. Unbestätigten Berichten zufolge handelt es sich bei einem der Gesuchten um den pensionierten General Ante Gotovina, der für den Beschuss des Krankenhauses der damals noch von Serben kontrollierten Stadt Knin 1995 verantwortlich sein soll. Der andere soll der aus dem Kosovo stammende, für Kroatien kämpfende General Rahim Ademi sein. Ihm werden Verbrechen im Zusammenhang einer Gegenoffensive der Kroaten 1993 zur Last gelegt.

Die Regierungskrise hatte sich schon vor einigen Monaten angekündigt. Denn die Sozialliberalen haben schon mehrmals gegen die Zusammenarbeit mit Den Haag protestiert. Schon während des Krieges (1991 bis 1995) hatte ein großer Flügel der damaligen Oppositionspartei HSLS unter ihrem Präsidentschaftskandidaten Drazen Budisa die Politik von Franjo Tudjman in vielen Punkten unterstützt, so zum Beispiel im Krieg gegen die muslimisch geführte Zentralregierung Bosnien und Herzegowinas 1993. Nach dem gemeinsamen Wahlsieg im Januar 2000 mit Sozialdemokraten, der Volkspartei und zwei kleineren Regionalparteien versuchten die Sozialliberalen allzu forsche Reformen im Staats- und Rechtssystem zu blockieren. Mit der Entscheidung in bezug auf Den Haag sei die Krise in der Regierungskoalition lediglich aufgedeckt worden, meinen diplomatische Beobachter.

In der Bevölkerung gibt es eine heftige Diskussion über die Zusammenarbeit mit Den Haag. Auch viele nicht dem konservativen Lager zugehörende Kroaten empfinden das Vorgehen des Tribunals als ungerecht, sehen sie die Rückeroberung der von Serben 1991 besetzten Gebiete durch die kroatische Armee doch als legitim an. Diese Kreise bestreiten dabei nicht, dass es im Anschluss an die Offensive 1995 zu Übergriffen auf serbische Zivilisten gekommen ist. Es wird jedoch auch von Parteigängern der Regierung bestritten, dass es sich um eine systematische Verfolgung von Serben gehandelt habe und somit die Armeespitze verantwortlich sei. Deshalb ist es keineswegs sicher, dass Premierminister Racan noch über eine Mehrheit im Parlament verfügt.

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