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Eskapaden im Einweckglas

Mangas für Mittelschüler und für Köche, Mangas für Angestellte, allein stehende Sekretärinnen und für Hobbyfischer: Das Museum für Ostasiatische Kunst zeigt die weite „Welt des japanischen Comics“

von DETLEF KUHLBRODT

Japan ist verrückt nach Mangas. Die drei bis vierhundert Seiten dicken Mangamagazine erscheinen allwöchentlich in Millionenauflagen, sie kosten so viel wie eine Tasse Kaffee, und die beliebteste japanische Mangazeitung hat eine Auflage von 6 Millionen. Im Jahr erscheinen 2 Milliarden Mangas.

Das gerade im Sommer besonders schöne „Museum für Ostasiatische Kunst“ hat ihnen eine sehr schöne Ausstellung gewidmet. Dort erfährt man, dass die Mangahelden mitnichten nur niedliche Jugendliche mit großen Augen und Stupsnäschen sind und dass sie sich auch nicht ausschließlich mit exzessiver Gewalt und pornografischen Dingen beschäftigen. Innerhalb der großen Themenvielfalt des zeitgenössischen Manga nehmen Sex und Gewalt „nur einen sehr kleinen Raum ein“, schreibt der Ausstellungsmacher und Manga-Autor Natsume Fusanosuke. Das Spezifische liege vielmehr in dem „Ausdruck des Alltäglichen“. So gibt es Sport-, Koch- und Antikorruptions-Mangas; Mangas für allein stehende Sekretärinnen, für weibliche und männliche Mittelschüler, Vorschüler, Hobbyfischer, Angestellte, nicht zu vergessen die „Silber-Mangas“ für die ältere Generation.

Die einzelnen Geschichten, deren Folgen selten länger als 20 Seiten sind und zuweilen über mehr als zehn Jahre fortgesetzt werden, sind gewöhnlich in Schwarzweiß gehalten. Die Handlung ist wichtiger als die Zeichnungen, findet das Publikum. „Erhöhte man den Perfektionsgrad der Bilder und ihre Dichte, hätte das im Allgemeinen zur Folge, das Vergnügen am Verfolgen der Geschichte zu mindern“, so Natsume Fusanosuke. Als industrielle Kulturerzeugnisse widerstreben Mangas dem europäischen Autorengedanken, ohne billig sein zu müssen.

Es ist keine leichte Aufgabe, Europäern einen repräsentativen Eindruck von der japanischen Comic-Kunst zu vermitteln. Anders als die japanischen Leser müssen Museen naturgemäß mehr Wert auf die Bildlichkeit legen als auf die ausufernden Geschichten. Daher nahm der Ausstellungsmacher auf europäische Rezeptionsweisen Rücksicht und beschränkte seine Auswahl auf kurze Mangas, die sich alle mehr oder weniger mit der Zeit und dem Abbild ihres Vergehens beschäftigen.

Während die gewöhnlichen Mangas in Vitrinen stecken, sind die vergrößerten Reproduktionen kurzer Ausnahmemangas von 25 Autoren ausgestellt, die untypischerweise zumeist in Farbe gehalten sind. In einem Raum sind Mangavorläufer aus dem 19. Jahrhundert ausgestellt. Am Anfang gibt es einen Bilderzyklus, in dem traditionelle Bildmotive mit Mangafiguren und punkigen Inhalten verbunden sind. Über einer Geisha steht „what’s going on“ als Graffiti, und auf einem Sarg antwortet ein anderes Graffiti „I don’t know“. Das ist Kunst. Ein Bild von Tamura Shigeru erinnert an eine Sondermann-Zeichnung aus der Titanic. Erstaunlich. Bei einigen Strips denkt man auch an Sempé. Andere entsprechen dem gängigen Japan-Bild, wenn es auf mehreren Seiten nur regnet und nichts passiert.

Manchmal ist der Text auch sehr schön. Am Ende einer Geschichte, in der es um zwei sorglose Städter geht, die ungeachtet aller Warnungen zu einen verbotenen Ort aufsuchen, resümiert ein Mann: „Ei? (...) Schon wieder ist jemand in den verbotenen Berg hineingegangen und hat im Loch von Taitaubo-Gespenst Unfug getrieben. Die Stadtmenschen verstehen es nicht mehr, sich zu fürchten.“ Und in einer Science-Fiction-Geschichte, die dem gängigen Mangaklischee vielleicht am ehesten entspricht, sagt eine schöne Frau: „Seit einem Unfall habe ich einen künstlichen Arm. Er hat die Kraft von 1,5 Millionen Pferdestärken.“

Am besten haben mir zwei längere Mangas gefallen, die mit Pokémon absolut nix mehr zu tun haben. In „der alte Mann“ erzählt Umezz Kazuo von einem Jungen, der in einsamer Stadtgegend einen alten Mann findet, der in eine Grube gefallen ist. Der Junge schnippelt in seiner Freizeit an seinen Armen herum. Er denkt, dass man mit 20 stirbt, und hält den Alten für ein Monster. Sehr düster und grotesk ist auch „Der liebende Ehemann“ von Hisauchi Michio. Ein eifersüchtiger Ehemann beginnt aus Protest gegen die Eskapaden seiner schönen Frau einen Hungerstreik, an dessen Ende er sich in einen Penis mit insektenhaften Gliedmaßen verwandelt, den die Frau nach anfänglichem Ekel ab und an aus seinem Einweckglas holt, um ihm eine Freude zu machen: „Die Frauen sagen doch immer ‚Cum inside me‘ “, sagt der Mann am Ende. Nach solchen Geschichten ist man weggebeamt, so als wäre man tagsüber in einem tollen Film gewesen.

Dass Mangas erzählerische Möglichkeiten haben, die dem Film und der Literatur nicht zur Verfügung stehen, ist das Mindeste, was man lernen kann. Die Ausstellung wird von einem Filmprogramm im Arsenal begleitet, und im Beiprogramm, zur langen Nacht der Museen am 25. 8., wird die mangainspirierte Zeichnerin Evelin Höhne wieder live malen.

„Manga – Die Welt der japanischen Comics“. Bis 16. 9., Museum für Ostasiatische Kunst, Lansstr. 8, Dahlem, Di. bis Fr. 10–18 Uhr, Sa. und So. 11–18 Uhr

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