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Der Traum des Vaters

Venus Williams ist 21Jahre alt und zweifache Wimbledonsiegerin. Vielleicht klingt sie auch deshalb so müde, dass sich Fragen nach einem möglichen Rücktritt vom Tennis von alleine aufdrängen

aus Wimbledon MATTI LIESKE

Es ist schon erstaunlich, was läppische 24 Monate Altersunterschied ausmachen können. Justine Henin, vor einigen Wochen 19 geworden, hatte nach ihrem mit 1:6, 6:3, 0:6 gegen Venus Williams verlorenen Wimbledon-Finale große Mühe, die in dieser Situation vorgeschriebene Enttäuschung zu präsentieren. Man verliert kein großes Tennisfinale und ist glücklich. Doch die Belgierin war glücklich, erzählte immer wieder, wie toll diese zwei Wochen in London gewesen seien und wie unglaublich die Tatsache wäre, dass sie vor einem Jahr noch die Nummer 100 der Weltrangliste war, jetzt aber die Nummer fünf ist. Kein Zweifel, Henin fühlt sich am Anfang eines langen, verheißungsvollen Weges und sprüht vor Tatendrang. „Das war erst mein zweites Wimbledon“, sagte sie und versprach: „Ich werde viele, viele Wimbledons haben.“

Venus Williams hingegen, vor einigen Wochen 21 geworden, klang während dieses Turniers oft müder als Pete Sampras nach seiner Achtelfinalniederlage. So müde, dass sich die Frage nach einem möglichen Rücktritt vom Tennis fast aufdrängte. „Ich bin noch zu jung, um an ein Karriereende zu denken“, antwortete sie zwar, besonders überzeugt hörte sich das aber nicht an. Lindsay Davenport, vor wenigen Wochen 25 geworden und damit so etwas wie die große weise Frau des Tennis, hatte ähnlich geklungen, als sie über ihr eigenes nicht allzu fernes Karriereende referierte. Auf die Frage, ob sie sich vorstellen könne, noch mit 43 in Wimbledon anzutreten, so wie Martina Navratilova im Doppel, schaute sie drein, als hätte man sie gefragt, ob sie glaube, eines Tages auf dem elektrischen Stuhl zu landen. Sie bewundert Steffi Graf, die es schaffte, mit 29 ohne Probleme zurückzutreten. Natürlich sei 25 ein Alter, in dem die meisten Sportler, sogar die männlichen Tennisspieler, den Zenit ihrer Laufbahn noch nicht einmal erreicht haben, räumt Davenport ein, doch bei den Frauen sei das anders. Die würden, seit sie 14 sind, nichts anderes tun als für ihren Sport zu leben und von Hotel zu Hotel reisen, zehn Jahre seien eine lange Zeit für eine solche Lebensweise. Die Perspektive eines Daseins ohne Tennis findet Davenport, die noch zwei Jahre weitermachen will, schlicht „aufregend“.

„Ich bin noch ein Kind und versuche gerade, erwachsen zu werden“, sagt Venus Williams, auf der Tennistour ist sie trotzdem schon eine der Veteraninnen. Hinzu kommt, dass ihr immer deutlicher aufzugehen scheint, dass nicht sie sich diesen Beruf erwählt hat. „Es war der Traum meins Vaters, bevor es meiner war“, grenzt sie sich klar von Richard Williams ab, der seine Töchter Venus und Serena vom zarten Alter an zu Tennisstars heranzog. „Wenn meine Eltern nicht wären, würde ich jetzt nicht hier mit euch reden“, sagt sie, und es klingt, als ob dies ein durchaus verlockender Gedanke wäre. Wenn sie gefragt wird, ob Tennis eine Leidenschaft für sie sei oder nur etwas, das sie gut könne, denkt sie lange nach und antwortet dann klipp und klar: „Etwas, das ich gut kann.“

Die großen Ziele wie Grand Slam, Nummer eins oder diverse Rekorde mag sie nur widerstrebend anvisieren, ihre eigenen Projekte sind eher begrenzt. „Wimbledon 2001 gewinnen“, war das letzte, erst danach ließ sie sich zu der Aussage hinreißen, dass das nächste Ziel, wenn man die Nummer zwei der Weltrangliste sei, logischerweise die Nummer eins wäre: „Ich muss das wohl zur Priorität machen“, formulierte sie das. Ansonsten wolle sie stets ihr Bestes geben, und, fügt sie mysteriöserweise hinzu, „wenn ich genug habe, habe ich genug“.

Für die Monate Oktober bis Dezember trägt sich Venus Williams mit dem Gedanken, zur Schule zu gehen, wie schon im letzten Jahr. Allerdings werde sie die Turniere vermissen und sei deswegen noch schwankend. Nicht vermissen hingegen würde sie das Training, das ihr ein Gräuel ist. „Es ist langweilig“ sagt sie, weshalb sie es im letzten Jahr stark schleifen ließ – und trotzdem die US Open gewann. Die Quittung bekam sie in diesem Jahr, als sie bis zu den French Open nicht ihr gewohntes Niveau erreichte. Training sei eine Sache, bei der „große Champions wie Steffi Graf oder Ivan Lendl“ herausgeragt hätten, weshalb sie dann auch im Match herausragen konnten. „Vielleicht sollte ich dieselbe Haltung haben,“ meint sie, doch es klingt wie vom Vater vorgesagt. Mehr nach Venus Williams hört sich die folgende Aussage an: „Wenn ich spielen will, spiele ich, wenn nicht, dann nicht. Ob ich zur Schule gehe oder meine Karriere beende, für mich zählt, was mir wichtig ist, nicht was den Konventionen entspricht.“

Vieles spricht jedoch dafür, dass bei den Reden vom Rücktritt eine Portion Koketterie mitschwingt und die 21-Jährige, schon wegen ihres bis 2005 laufenden Vertrages mit „Reebok“ über 40 Millionen Dollar, durchaus noch ein paar Jährchen Tennis spielen wird, mit ihren Furcht erregenden Aufschlägen wird sie vor allem Wimbledon dominieren. Über die Zeit danach hat Venus Williams bisher ohnehin nur vage Vorstellungen: „Wahrscheinlich werde ich ein Couchpotato.“ Das klingt sogar bei der nüchternen Lindsay Davenport erheblich aufregender.

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