Bremer Tatort goes Kammerspiel

■ Mit seiner neuesten Produktion „Eine unscheinbare Frau“ kommt der Radio Bremen-Tatort aus dem Dauertief: Sie wurde sogar für den „TV Movie Award“ der Münchner Filmfestspiele nominiert

Es gibt Tage, an denen alles schief geht. Aber es gibt auch Leben, in denen alles schief geht: die kleinen Sachen und die großen Sachen. Margit Brede, einer unscheinbaren Frau, platzen die Einkaufstüten, sie wird von Radfahrern angefahren und dafür angeraunzt, die Katze ihrer Nachbarin, auf die sie aufpassen sollte, wird überfahren, ihr Geliebter hat sie verlassen und einer anderen das Kind gemacht, das sie gerne hätte...

Stopp jetzt, das ist fast schon mehr, als verraten werden darf vom neuen Bremer Tatort namens „Eine unscheinbare Frau“, der erst im Herbst im Fernsehen ausgestrahlt wird. Premiere hatte er aber schon, und zwar bei den Münchner Filmfestspielen. Da war er nominiert für den TV Movie Award – die jährliche Auszeichnung für den besten deutschen Fernsehfilm, der mit 50.000 Mark dotiert wird. Gewonnen hat er den Preis dann doch nicht, aber allein die Nominierung war für alle Beteiligten wohl eine Art Befreiungsschlag.

Denn die Tatort-Produktionen aus Bremen zählten bislang nicht gerade zu den Höhepunkten deutscher Fernsehkultur. Unwahrscheinliche Stories, banale Dialoge, schlecht entwickelte Figuren... da harrte man vor dem Fernseher nur aus, weil man die Straßenecken kannte und Ladenfassaden, weil man schon Umwege gefahren war, denn „da vorne, ey, da wird grad der Tatort gedreht“. Ansonsten aber blieb man Fan von Bienzle, Batic und Leitmeier, von Ulrike Folkerts und weiland Kommissar Stöver – und sicher nicht von Inga Lürsen.

Die Figur der Bremer Hauptkommissarin ist angelegt als handfeste, lebensfrohe, aber auch gebrannte Frau, die mit ihrer pubertierenden Tochter in einer Wohnung lebt. Gefüllt hat die Darstellerin Sabine Postel diese Rolle bislang nicht. Wenn sie nach Hause kommt, ihre Tasche auf's Sofa wirft und sich ein Glas aus der Rotweinflasche einschenkt, dann könnte man am unteren Bildrand ein Spruchband mitlaufen lassen: „Ich bin eine berufstätige Frau – mein Beruf macht mir Spaß, aber er ist auch sehr anstrengend – am besten entspanne ich mich bei einem Glas Rotwein – ich sehe die Dinge manchmal auch locker, wissen Sie.“

Der Typ „burschikose Kommissarin“ ist im Übrigen mit Ulrike Folkerts bestens besetzt, auch sie mischt „männliche“ Härte mit „weiblicher“ Intuition – aber sie langt eben auch mal grausam daneben und niemand kann so gut Fehler nicht eingestehen wie die Folkerts. Genau solche Charakterspezialitäten gehen Postel alias Lürsen ab. Wenn sie dann noch Sprachklischees aufsagen muss – „Die Frau ist nicht verrückt, sondern einsam, verzweifelt, wütend, was weiß ich...“ – dann gute Nacht, Tatort. Aber wir wollen einräumen: Anlaufschwierigkeiten hatten die meisten, einen Kommissarcharakter zu füllen scheint nicht die leichteste Schauspielübung zu sein – und dies ist erst der fünfte Bremer Tatort in dem die Postel die Lürsen mimt.

In der „Unscheinbaren Frau“ haben sie ihr jedenfalls eine Reihe von Schauspielern an die Seite gestellt, die das Problem Lürsen kleiner scheinen lassen. Bettina Kupfer als Margit Brede als Lieschen Müller kann sichtbar ihren Körper panzern, sie ist ganz Anspannung und kann doch auch leuchten im Gesicht, wenn sie für einen Moment vergisst, dass sie eine ist, der im Leben alles danebengeht. Szenen von träumerischer Luftigkeit, wenn sie mit ihrem Ex zur Musik der BeeGees tanzt.

Im kammerspielartigen Film reüssiert auch Henry Hübchen: eben jener Ex mit Namen Alfred Stellmacher, an dem die Verlassene – auch – Rache nimmt. Den beiden gelingen Szenen, die skurril im besten Sinne des Wortes sind. Wunden werden beäugt und für nicht schlimm befunden, Tänzchen werden gewagt, Wahrheit wird gesprochen – wer den Erstling von „Lola rennt“-Regiesseur Tom Tykwer „Die tödliche Maria“ kennt, weiß, was gemeint ist.

Man wäre zwar auch zufrieden gewesen, wenn Radio Bremen schlicht einen soliden Whodunit-Krimi hingelegt hätte – aber gut, Regisseur Martin Gies und Autor Jochen Greve haben sich für einen Ausflug ins Fernsehspiel entschieden, und der gelingt genau so lange, wie nicht Frau Lürsen und ihr neuer Kollege Stedefreund (der von Oliver Mommsen durchaus gut gespielt wird) ganz traditionelles Tatort-Geplänkel ins Spiel bringen. Die abgründige, psychologisch-ultrareiche Ausprägung der anderen Darsteller geht ihr zugunsten einer gewissen Serienqualität ab.

Dennoch: Die Besserung des Bremer Tatorts, die sich schon bei der letzten Produktion „Die apokalyptischen Reiter“ zeigte, schreitet voran. hey