Gute Laune bei Magenta

Zwei Etappensiege von Erik Zabel lassen beim Team Telekom die Hoffnung auf mehr keimen, zumal auch Jan Ullrich bei der Tour de France tapfer mitradelt und bisher keine Schwächen zeigt

von FRANK KETTERER

Natürlich war auch Rudi gleich wieder zur Stelle. Mit breitem Grinsen kam er herangestürmt und so windeseilig, dass dem Mann im magentafarbenen Leibchen erst gar keine Chance blieb, an das zu denken, was er gerade bei seinem ersten Etappensieg in Boulogne-sur-Mer so vorzüglich getan hatte: zu flüchten. Nun aber, vor Rudi, gab es kein Entkommen mehr für Erik Zabel; vor Rudi blieb selbst dem Sprintstar vom Team Telekom nichts anderes übrig als die Kapitulation. Und so machte Zabel am Tag nach seinem 31. Geburtstag immerhin noch gute Miene zum bösen Spiel und ließ verlegen geschehen, dass der Republik oberster Radfan und Verteidigungsminister ihm vor allen Augen liebevoll-anbiedernd über die Wange strich, wozu im Hintergrund auch noch Telekom-Chef Ron Sommer sein breitestes Grinsekatzen-Grinsen aufgesetzt hatte.

Es war ja auch eine tolle Leistung von Zabel: gleich die erste Etappe der diesjährigen Tour de France zu gewinnen und sich das Grüne Trikot überzustülpen. Zwar musste er das am Tag darauf schon wieder abgeben, aber das war nur ein Versehen, wie auf dem dritten Tagesabschnitt von Antwerpen nach Seraing am Dienstag überdeutlich wurde: Wieder passte Zabel den richtigen Moment auf der Zielgeraden ab, wieder erwischte er ihn punktgenau und stürmte allen davon. Und wieder konnte sich der schnelle Mann aus Unna als Etappensieger feiern lassen, zum zweiten Mal nun schon bei dieser noch so jungen Tour – und als Träger des Grünen Trikots. Und weil auch Jan Ullrich, sommersprossiger Merdinger und heißester Anwärter auf Rang zwei bei der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt, bisher ganz ordentlich mitradeln konnte, herrscht bei den Telekomikern aus Bonn bisher eitel Freude: Schon eine halbe Woche vorbei – und immer noch nicht ins Hintertreffen geraten gegen Lance Armstrong, den zweimaligen Sieger und wiederum großen Favoriten aus den USA und sein US-Postal-Team – das macht allemal gute Laune.

Jedenfalls deutlich bessere, als Armstrong selbst sie derzeit hat. Was bei einem Blick in die Sunday Times kaum verwundern kann: Mit Doping wird der Mann aus Texas in einem Artikel der Londoner Zeitung wieder einmal in Verbindung gebracht, Armstrongs Kontakt zu dem italienischen Arzt Michele Ferrari ist es, der derzeit für Diskussionsstoff sorgt. Der Dottore aus Ferrara gilt in der Szene als umstrittene Figur, unter anderem wird ihm nachgesagt, er habe zahlreiche Ausdauersportler mit dem Dopingmittel EPO versorgt, wofür sich Ferrari demnächst in Bologna vor Gericht verantworten muss: Verstoß gegen die Doping-Gesetze lautet dort die Anklage.

Natürlich zeigt sich Armstrong erbost über die Anschuldigungen, die daraus auf ihn abgeleitet werden, und natürlich hat er auch sofort Beteuerungen parat: „Ich habe Ferrari 1995 in einem Trainingslager in San Diego kennen gelernt. Er und mein Trainer Chris Carmichael tauschen ab und zu Trainingsdaten aus. Aber wir haben niemals über EPO gesprochen, und ich habe es nie benutzt“, sagt Armstrong. Was die Sunday Times prompt wiederum kontert: Achtmal habe der Texaner zwischen März 1999 und August 2000 Ferrari besucht, außerdem sei vorgesehen, dass der Arzt Armstrong bei dessen Stundenweltrekord-Versuch im Oktober beraten soll. „Wie kann er nur mit diesem Ferrari zusammenarbeiten?“, fragt sich ob dieser Sachlage auch der irische Exprofi Paul Kimmage, der in den 90er-Jahren mit seinem Buch „The Rough Ride“ über Dopingpraktiken im Radsport für Aufsehen sorgte und für den der Fall auch diesmal ziemlich klar liegt: „Keine Frage, dass Armstrong EPO genommen hat.“

Beim Team Telekom hält man sich mit Äußerungen zu diesem Thema natürlich zurück, was wohl auch besser so ist. „Ist eh nur Spielerei hier“, hat zum Beispiel Jan Ullrich gesagt, damit aber ausschließlich den Prolog zu Tourbeginn gemeint, bei dem er lediglich drei Sekunden hinter Konkurrent Armstrong ins Ziel gerollt war. Auch auf den bisher vier Etappen konnte keiner der beiden vormaligen Toursieger nur den Hauch eines Vorteils für sich herausarbeiten. So liegen Ullrich und Armstrong im Gesamtklassement bisher einträchtig und nur von Sekunden getrennt beieinander, selbst leichteste Fingerzeige auf den Toursieger 2001 konnten bisher noch nicht eruiert werden.

Das könnte sich heute ändern. Ein Mannschaftszeitfahren über 67 Kilometer von Verdun nach Bar-le-Duc steht auf dem Etappenplan und somit eine erste Stunde der Wahrheit. Auch im Vorjahr sortierte der mannschaftliche Kampf gegen die Uhr das Feld – und ordnete Armstrong samt Team 40 Sekunden vor Ullrich und Kameraden ein, auch weil Telekom-Fahrer Gian-Matteo Fagnini am Ende das Tempo nicht mehr mitgehen konnte und somit das ganze Team langsamer machen musste. Fagnini ist in diesem Jahr nicht dabei, was bei Erik Zabel zunächst für einigen Unmut gesorgt hatte, weil er sich seines wichtigsten Helfers beim Sprint und somit aller Möglichkeiten auf einen Etappensieg beraubt sah. Nun, scheint es, war die Entscheidung der Teamleitung, Fagnini in diesem Sommer freizugeben, doch nicht so falsch: Zabel hat zwei Etappensiege hinter sich und die Mannschaft das Teamzeitfahren ganz ohne den bremsenden Italiener vor sich. „Unser Team ist sicher auch beim Zeitfahren stärker als im Vorjahr, und ich rechne mit weniger Verlust auf US Postal“, sagt Telekom-Teamchef Rudy Pevenage. Mal sehen, wie Rudi darauf reagiert.