: ... und Virginia Woolfs „Percival“ reist unterdessen nach Indien
■ Wortdurchtränkte Aussicht auf die Alster von Volker Langs „Wellenhaus“ aus, nachempfunden dem Roman „Die Wellen“
Eine Datsche kann das kaum sein: Wenn auf den Alsterwiesen ein acht Meter langes Holzhaus gebaut wird, muss es sich wohl um im öffentlichen Raum positionierte Kunst handeln. Oder besser um mehrere Künste, denn der Hamburger Volker Lang bezieht seinen seit Anfang Juli nahe der Feenteichbrücke stehenden Architekturraum explizit auf die Literatur.
Siebzig Jahre nach der Entstehung des Romans Die Wellen von Virginia Woolf inszeniert der Holzbildhauer jetzt Struktur und Stimmung der Textvorlage und gibt so der ständigen, aber abstrakten Gegenwart von Literatur einen vorübergehenden, aber konkreten Ort.
„Ich bin überzeugt, dass ich recht damit habe, nach einem Standort zu suchen, von dem aus ich meine Menschen gegen die Zeit und gegen das Meer aufstellen kann“ notierte Virginia Woolf im November 1929 in ihrem Tagebuch. Was da symbolisch und dichtungstheoretisch formuliert war, hat Volker Lang am Alsterufer in die Realität gebaut. Ursprünglich für einen Standort am Meer in Cuxhaven entworfen, kann auch der kilometerweite Alstersee als gefühlsbesetzte Aussicht dienen. Denn das ganze Haus ist eigentlich zu nichts anderem entworfen, als dazu, die unterschiedliche Wahrnehmung angesichts desselben darzustellen.
Die sechs gleichen Fenster auf der Ausblickseite zum Wasser sind dabei inhaltlicher und formaler Grund des Gebäudes, dessen Eingangsvorbau und Dachhöhe sich aus dem Blickwinkel errechnet, der notwendig ist, um diese sechs Fens-ter nach Betreten des Raumes gleichzeitig wahrnehmen zu können. Für einen Parktempel der Romantik würde ein solches Konzept und die klar strukturierte Blickführung mit ihren minimalen Differenzen schon ausreichen. Und auch der ehemalige Kirchenmaler Volker Lang bezieht sich in seinen skulpturalen Entwürfen meist auf historische Raumkonzepte, mit denen er sich bestens auskennt.
Seit drei Jahren kommt dazu die Literatur: In Leeuwaren baute er ein Haus für eine Novelle von Robert Musil, in Venedig konstruierte er einen Raum für Jorge Luis Borges. In Hamburger dagegen sind auf Knopfdruck jedem Fenster die Stimmen der sechs Personen aus Kapitel vier des Romans von Virginia Woolf zugeordnet.
So füllt sich der ohnehin kontemplative Ort für eine vierzehnminütige Lesung mit Ausschnitten aus den sentimentalen Beobachtungen und scharfsinnigen Reflexionen einer wartenden Freundesgruppe. „Wir sind zusammengekommen, um eine Sache dem Blick vieler Augen gleichzeitig auszusetzen“ ist da zu hören und „Wir unterscheiden uns möglicherweise allzu grundsätzlich, um es erklären zu können“.
Wen solche Erklärungsversuche ermüden, der kann sich auch einfach nur in das Haus zurückziehen und bei einem der hierzulande üblichen Regengüsse an die Ferne denken – zum Beispiel an Indien, wohin der von Woolfs Romanfreunden als ferner Bezugspunkt verehrte Percival abgereist ist.
Hajo Schiff
Volker Lang: Das Wellenhaus; ein Projekt des Literaturhauses und der Kulturbehörde. Schöne Aussicht, Höhe Feenteichbrücke, geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr, bis 2. September
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen