: Russlands Boden wenig privat
Am Samstag hob die Duma nach über 70 Jahren die bolschewikische Vergesellschaftung des Bodens auf – für zwei Prozent der Fläche. Besitzverhältnisse für forst- und landwirtschaftlichen Grund weiterhin unklar. Proteste von Kommunisten und Agrariern
aus Moskau BARBARA KERNECK
Bei 30 Grad Hitze schwitzten die Lachsscheiben auf den festlich gedeckten Tischen für das Abschiedsbankett der russischen Duma-Depotierten. Auch die schwitzten, doch bis zum späten Sonnabend wagten sie kaum, die letzte Sitzung vor der Sommerpause zu verlassen. Es stand eine historische Entscheidung an: Das Dekret über die Vergesellschaftung von Grund und Boden, mit dem die Bolschewiki ihre Herrschaft begannen, wurde am Wochenende nach über ssiebzig Jahren rückgängig gemacht.
Das russische Parlament verabschiedete den so genannten Landcode mit 253 gegen 152 Stimmen bei 6 Enthaltungen. Das Gesetz konstatiert das prinzipielle Recht von privaten und juristischen Personen auf Grundbesitz im landreichsten Staat der Erde und definiert die verschiedenen Kategorien von Grundstücken in der russischen Föderation. Konsequenzen hat das neue Gesetz aber vorerst nur für zwei Prozent des russischen Bodens. Denn ausgenommen sind Wälder und landwirtschaftliche Nutzflächen. Der Umgang mit diesen Flächen soll durch weitere Untergesetze geregelt werden.
Doch dass das Stündlein des Privatbesitzes im Farmland bald anbrechen könnte, brachte die Mitglieder der Kommunistischen Partei und der Agrarier zum Kochen. Auf der Straße vor dem Parlament schleuderten deren Aktivisten Eier und Ziegelsteine gegen liberale Marktpropheten. Die Depotierten, sagte der kommunistische Deportierte und Physiknobelpreisträger Alfred Schores, verabschiedeten gerade ein Gesetz, das schlimmere soziale Gegensätze schüfe, als alle bisherigen Privatisierungen. Auch die liberale Opposition stimmte dem Gestz nicht mit fliegenden Fahnen zu. Wladimir Lukin aus der Fraktion Jabloko rief aber dazu auf, Bedenken zurückzustellen und spätere Gesetzesergänzungen anzustreben: „Dieses Gesetz hat etwas mit der Art von Staat zu tun, in der wir gerne leben würden.“ Die Liberalen und Präsident Putins Wirtschaftsguru German Gref erhoffen sich von dem Gesetz eine Verbesserung des Investitionsklimas. Der Hauptstreit entbrannte um das Recht von Ausländern, Grund und Boden in Russland zu erwerben. Die Erlaubnis wurde erteilt – mit Einschränkungen für die Grenzregionen und bestimmte „vom Präsidenten zu bestimmende“ Teritorien. Eine der Befürchtung der kommunistischen Fraktion, dass nämlich Deutsche sich in der Region Kaliningrad (ehemals Königsberg) Grundstücke aneignen und die Enklave erneut als nationalen Besitz reklamieren, ist damit abgewendet.
Putin-Berater Gref kündigte unterdessen an, dieser Sieg ermögliche es ihm, schon im Herbst ein Gesetz über das Privateigentum an Farmland vorzulegen. Und die Zeitung Iswestija meint, dass diese Privatisierung nicht nur das große Kapital begünstigt. „Das bedeutet auch für unsere Bauern eine bescheidene Hoffnung“, schrieb sie.
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