Liebend, tricksend, verführend – eben typisch Frau

■ Andreas Erdmanns „Schädelstätte oder die Bekehrung der heiligen Maria“ im Amerikahaus

Warumwarum. Wieso muss ihr Sohn Jesus da oben hängen, sich ans Kreuz schlagen lassen, wo er doch genauso gut ein angenehmeres Leben führen könnte? „Du hättest alles haben können, alles fiel dir so leicht“, schreit Maria in Schädelstätte oder die Bekehrung der heiligen Maria, jüngst präsentiert beim Festival Die Wüste lebt im Amerikahaus. Und abfinden kann und will sich die Mutter Jesu schon lange nicht.

An den Stäben des Käfigs, in den die Zuschauer gesperrt wurden, rüttelt sie in der Inszenierung von Pia Gehle. Mal nüchtern, mal betrunken schreit sie ihre Verzweiflung über das Sterben des Sohnes hinaus, versucht Gott durch List und Demut zum Einlenken zu bewegen. Hohngelächter hat sie übrig für Jesu Kluggeschwätz von der „Schrift, die sich erfüllen muss“ – und kniet doch später nieder vor dem Gott, an den sie nicht glaubt, um ihren Sohn vom Kreuz zu befreien. Lustig und slapstickartig ist der Stoff in Andreas Erdmanns Stück aufbereitet, urkomische Szenen, die direkt dem Kultfilm Das Leben des Bryan entsprungen sein könnten, gibt's – exzellent gespielt von Susanne Bredehöft.

Allein – schon nach zehn Minuten ist man sie leid, die Show. Und nach einer halben Stunde fragt man sich, wieso sich Maria unbedingt betrinken muss und warum für diesen typisch hysterischen Mutter-Monolog der biblische Stoff herhalten musste: Ganz ins Psychologisch-Private gezogen wurde hier das Thema, als habe sich jemand an seinem persönlichen Trauma abarbeiten wollen.

Jedoch – mehr als dieses mütterliche Nicht-Loslassen transportiert das Stück nicht. Mehr als den Versuch, eine Cover-Version des alten Motivs der klagenden Maria, der Mater Dolorosa, bringen Text und Inszenierung nicht zustande. Unverständnis, Trauer, Hoffnung und Resignation spiegelt die wie ein Tiger Herumrennende, die ihren Sohn nicht verlieren will und ständig in neue Facetten zerfällt. Eine Figur wird erschaffen, deren Demutsgesten immer wieder durch Bemerkungen wie „War das jetzt genug?“ gebrochen werden und die angesichts des Unabänderlichen weiterhin ihr verzweifeltes Tricky Spiel spielt.

Ein bisschen fühlt man sich dabei wieder einmal wie in einer Talkshow, in der Maria ungefiltert alle nur denkbaren Gefühlsvarianten herauskalauert, ohne dass das für irgendwen interessant sein könnte: Die gewaltsame Öffentlichmachung des Privaten ist hier zu erleben, ein ins Profane gewandter religiöser Stoff zudem, der ein befremdliches Frauenbild transportiert: Frau jammert, trickst, verführt – alles, um das ihr geziemende Ziel namens (Nächsten-)„Liebe“ zu erreichen. Ein überwunden geglaubtes Frauenbild ist es, das die 1977 geborene Regisseurin hier zeichnet; immerhin entstammt der Stoff den Apokryphen aus vorbiblischer Zeit. Allerdings – die biblische Geschichte zu verändern haben sich weder der Autor (warum kommt Jesus nicht einfach mit?) noch die Regisseurin getraut.

Dabei wäre des Stückes einzige Rettung die Umarbeitung gewesen: Warum nicht aus dem Gekreuzigten einen Todeskandidaten in einer US-Zelle machen, der das Verbrechen zugibt und die Strafe gern ertragen will? Solches hätte echte Brisanz erzeugt. Und vielleicht wäre man so den Motivblocks „Eigenverantwortung“, „Schuld“ – den eigentlichen Themen, die in der Marienklage-Situation stecken, näher gekommen als durch quasi-empfindsames Auffüllen des Stoffs. Denn um die Emotionen einer Mutter vorzuführen, hätte man diese Konstellation nicht bemühen müssen. Dafür weckt der Stoff viel zu viele Erwartungen an Komplexität. Petra Schellen