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Globalisierungsfalle für Multis

aus Vancouver BERNHARD PÖTTER

Die Konzernchefin war beeindruckt: Direkt über der Kasse in der Filiale des Baumarkts „Home Depot“ in Toronto baumelte ein Bär von der Decke. Ein Aktivist des Forest Action Network (FAN) hatte sich im Mai 1999 im Bärenkostüm von der Decke abgeseilt und hielt es dort stundenlang aus, um gegen den Verkauf von Holz aus dem kanadischem Regenwald zu protestieren. Annette Verschuren, Vorstandsvorsitzende von „Home Depot“ Kanada, eilte von ihrem Büro in den nahe gelegenen Baumarkt. Drei Monate nach der Aktion gab das Unternehmen klein bei: In Zukunft werde kein umstrittenes Holz mehr eingekauft.

Home Depot ist nicht irgendwer, sondern mit 930 Filialen und einem Jahresumsatz von 45 Milliarden Dollar der größte Heimwerkermarkt in den USA und Kanada. Daher war der Sieg über Home Depot für die internationale Koalition von Umweltschützern zur Rettung des Küstenregenwaldes an der kanadischen Pazifikküste (siehe Kasten) ein zentraler strategischer Erfolg. Zehn Jahre lang hatten lokale Gruppen wie Forest Action Network oder Rainforest Action Network mit dem größten Umweltverband der USA, dem Sierra Club, und dem Global Player im Umweltschutz, Greenpeace, gemeinsam mit den indianischen Ureinwohnern Druck auf die Holzwirtschaft gemacht, ihre Kahlschläge im unberührten Urwald zu stoppen. Schließlich hatten die global protestierenden Davids gegen die weltweit marktabhängigen Goliaths Erfolg. „Viele bei uns dachten, das stört uns nicht, wenn da so ein paar Grüne Radau machen“, sagt Linda Coady vom Holzkonzern Weyerhaeuser. „Aber sie haben sich geirrt.“

Vernetzte Märkte sind anfällig

Denn die „paar Grünen“ hatten die Spielregeln der Globalisierung begriffen: In einer Welt der vernetzten Märkte sind Unternehmen anfällig für weltweite Proteste. Und in einer mediengeprägten Gesellschaft gewinnt derjenige mit den besseren Images.

So mussten sich die Firmen für die hässlichen Bilder von Kahlschlägen verantworten, während die Umweltschützer eine gute Presse bekamen: Über tausend Aktivisten, unter ihnen der Chef von Greenpeace International, Thilo Bode, wurden 1993 von der Polizei bei Protesten verhaftet. Kanadische Ureinwohner blockierten die Verladung von Holz aus ihren Wäldern. Der Häuptling der Nuxalk-Indianer verübte im Home-Depot-Markt in Atlanta „ethischen Ladendiebstahl“ und übergab das Holz als Diebesgut an das FBI. Vor den Türen der Baumärkte und Zeitungsverlage in den USA, in Europa und in Japan forderten die Umweltschützer „Rettet den Regenwald!“.

Corby Lamb von „Western Forest Products“, dem Holzmulti mit der größten Abholzungslizenz in British Columbia, blickt resigniert zurück: „Du hast das Recht und die Regierung auf deiner Seite. Aber was willst du machen gegen drei Indianer-Omis, die vor den Fernsehkameras im Sessel die Straße blockieren?“

Jahrzehntelang hatte der vereinzelte Protest gegen die Kahlschläge in British Columbia kaum jemanden interessiert. Als aber die Holzfirma MacMillan-Bloedel 1993 im Clayoquot Sound auf Vancouver Island die Kahlschläge beginnt, treffen die Waldschützer eine strategische Entscheidung: Sie heben den Schutz des regionalen Regenwaldes auf eine globale Ebene. Sie suchen und treffen die globalen Vermarktungsstrukturen der Holzwirtschaft. Und sie setzen mit dieser Globalisierung von unten die Abnehmer und Kunden in Europa, den Vereinigten Staaten und Japan so unter Zugzwang, dass diese schließlich Druck auf die kanadische Holzindustrie machten, ihre Politik zu ändern: Die Globalisierungsfalle schnappt zu. 1994 zeigt die internationale Kampagne zur Rettung des Clayoqout Sound erste Erfolge. Kunden von MacMillan Bloedel kündigen die Verträge. 1995 empfiehlt auch die Provinzregierung von British Columbia, den Sound zu retten. Unterstützt und angetrieben von eben dieser Regierung, die die Steuereinnahmen aus der Holzwirtschaft ebenso wenig verlieren will wie die Arbeitsplätze in der überdimensionierten Holzindustrie, weichen die Holzfirmen nach Norden in den Küstenregenwald aus.

1997 wenden sich die Umweltschützer dieser entfernten Region zu. „Die Ureinwohner sind an uns herangetreten und haben uns gebeten, ihnen bei der Rettung ihres Waldes und ihrer heiligen Stätten zu helfen“, sagt Catherine Stewart von Greenpeace Kanada. Nun steigt ihre Organisation als Global Player im Umweltschutz richtig in das Thema ein. Das Waldgebiet, offiziell nur als „Waldreserve“ behandelt, wird von den medienerfahrenen Umweltschützern auf den emotionalen Namen „Great Bear Rainforest“ getauft. Die nationalen Sektionen der Umweltschutzorganisationen werden auf das lokale Problem eingeschworen. „Der Rückzug von MacMillan-Bloedel aus dem Clayoqot Sound hätte für uns alle ein Zeichen zum Aufwachen sein sollen“, sagt im Rückblick Linda Coady von der Holzfirma Weyershaeuser. Doch die Konzerne schlafen weiter.

Dann treten die Naturschützer ihre „marktgestützte Kampagne“ los. Zwischen 1997 und 1999 konzentrieren sich fünf „nationale Aktionstage“ auf den größten Kunden im größten Markt: Home Depot in den USA wird mit Briefen, Faxen, Anrufen und Kinderzeichnungen bombardiert, bei insgesamt 600 Demonstrationen vor Home-Depot-Läden verteilen Aktivisten Flugblätter, markieren Regenwaldholz im Laden, hängen Transparente an die Läden, begehen „ethischen Ladendiebstahl“ oder bemächtigen sich der Durchsagelautsprecher, um die Kunden zu informieren.

Das Einlenken von Home Depot beweist den grünen Strategen, dass „der Markt das schwächste Glied in der Kette der Waldzerstörung“ ist, wie Rainforest Action Network analysiert. Sofort drohen die Aktivisten den zehn größten Konkurrenten von Home Depot mit Protesten. Die Drohung wirkt: Sieben von ihnen erklären bis Anfang dieses Jahres, auf Importe von Regenwaldholz zu verzichten.

Auch in Europa und Japan wächst der Druck. Bereits 1994 haben deutsche und österreichische Verlage wegen der Demonstranten vor ihren Toren ihre Besorgnis über die Kahlschläge am Clayoqout Sound geäußert. Über das Internet ruft Greenpeace seine „Cyberaktivisten“ dazu auf, die Vertriebswege des Holzes zu verfolgen und sie für wirkungsvolle Proteste an die Organisation zu melden. 1998 kündigen die ersten Kunden in Österreich, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland ihre Verträge mit den kanadischen Firmen.

Der Häuptling der Nuxalk bereist Japan. 1999 besuchen die Chefs des Verbandes Deutscher Zeitschriftenhersteller (VDZ) und des Verbandes Deutscher Papierfabriken (VDP) auf Einladung von Greenpeace die Küstenregion. Geschockt von den Zuständen reden sie hinter verschlossenen Türen Tacheles: Gehen die Kahlschläge weiter, so drohen sie, würden die deutschen Konzerne keinen kanadischen Zellstoff mehr abnehmen.

Zu groß ist in Deutschland der Druck geworden. Zwar liefert British Columbia nur sieben Prozent seiner Holzprodukte nach Europa. Aber für einzelne Firmen sieht das ganz anders aus. „20 Prozent unserer Zellstoffexporte gehen nach Deutschland“, sagt Bill Dumont von Western Forest Products. „Da hört man seinen Kunden schon sehr genau zu, wenn sie Wünsche äußern.“

1999 beginnen Verhandlungen zwischen den Holzkonzernen, der Regierung, den Ureinwohnern und den Umweltgruppen. Als im Mai 2000 die Konzerne Interfor und West Fraser die Verhandlungen verlassen, zeigen die Naturschützer, wie groß ihr Druckpotenzial inzwischen ist. In den USA, Kanada, Europa, China und Japan demonstrieren Umweltschützer vor Häfen, Botschaften und Holzmärkten.

Die Waldschützer setzen aber auch finanzielle Daumenschrauben an. Die Investorengruppen Etical Funds Inc., Royal Bank of Canada und Friends Ivory Simes verkaufen aus Protest ihre Aktien von Interfor und West Fraser. Sie werfen für elf Millionen Dollar zehn Prozent der Interfor-Aktien auf den Markt, der Kurs der Aktie sackt ab.

Die italienische Supermarktkette Coop, die belgischen Holzimporteure und mehr als siebzig Firmen in Japan, unter ihnen Mitsubishi und Fuji, kündigen die Verträge mit Interfor. Im April 2001 schließlich stimmen Interfor und West Fraser dem Regenwald-Kompromiss zu.

„Seinen Kunden hört man genau zu“

Die Gegenoffensive der Holzkonzerne kommt nie richtig in Schwung. Zwar fragt eine Zeitung in Kanada „Will Greenpeace British Columbia zerstören?“, und die Gewerkschaft der Holztrucker plante gar einen „internationalen Anzeigenkrieg“ mit den Umweltschützern.

Doch das Branchenblatt Logging and Sawmilling Journal kommt schon im Oktober 2000 zu der zähneknirschenden Einsicht: „Wenn die Industrie keinen Frieden mit der Umweltbewegung machen kann und die Regierung nicht verhandeln kann, müssen die Umweltschützer keinen Kompromiss eingehen.“

Für Patrick Armstrong, Unternehmensberater für die Holzfirmen, hat die Kampagne ein neues Element in den internationalen Handel gebracht: „Bisher entschieden am Markt nur Preis, Qualität und Verfügbarkeit. Die Umweltschützer haben Ethik hinzugefügt. Jetzt müssen die Unternehmen auf Preis, Qualität, Verfügbarkeit und den ethischen Wert ihrer Produkte achten.“

„Wir bewegen uns jetzt von der Konfrontation zur Innovation“, sagt Linda Coady vom Holzkonzern Weyerhaeuser.

Mit dem Kompromiss sollen die Umweltschützer in die Marketingstrategie des Konzerns eingebunden werden. Sie sollen helfen, aus dem Stigma „Made in B.C.“ einen Wettbewerbsvorteil auf den hart umkämpften Holzmärkten zu machen: Holz aus British Columbia soll auf dem internationalen Markt mit einem Siegel vermarktet werden, das auch die Umweltschützer unterstützen. „Britisch Columbia könnte ein Lösungsweg auch für andere Konflikte sein“, sagt Andreas Geiger vom VDP.

Nötig wäre eine solche Lösung auch anderswo. So wird in Russland nach Schätzungen von Greenpeace etwa die Hälfte der jährlich geschlagenen 30 Millionen Kubikmeter Holz illegal gefällt.

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